Manches geht und manches geht nicht

Jacqueline Fehr, Nationalrätin ZH, Vizepräsidentin der SP Schweiz

Jacqueline Fehr, Nationalrätin ZH, Vizepräsidentin der SP Schweiz
Am Tag vier nach der Abstimmung lüftet sich bei den Initianten der Nebel: „Wertvolle“ Arbeitnehmer sollen mit der Familien kommen dürfen. „Weniger wertvolle“ sollen als Saisonnier kommen. Die SVP will also tatsächlich zurück zur Barackenschweiz. Abgesehen davon, dass dieser Vorschlag menschenverachtend ist, ist er auch nicht umsetzbar. Drei Täuschungen und ein Weg.

Erste Täuschung: Spekuliert wurde, dass die EU – falls das Volk wider Erwarten Ja sagen würde – mit Rücksicht auf die Kritik aus den eigenen Reihen mit der Schweiz pfleglich umgehen würde. Es kommt anders. Gerade weil die Personenfreizügigkeit auch bei vielen EU-Bürgern Unmut auslöst, ist die Reaktion der EU hart und die Botschaft unmissverständlich: „Wer die Personenfreizügigkeit in Frage stellt, bezahlt dafür einen sehr hohen Preis.“

Zweite Täuschung: Die „Kontingente“ werden als eine Art Ventilklausel so hoch angesetzt, dass die Wirtschaft weiterhin so viele Arbeitskräfte in der EU rekrutieren kann, wie sie will. Bei dieser Option schneiden wir uns gleich zweimal ins Fleisch: erstens wäre damit die Zuwanderung so gross wie heute und zweitens würden die flankierenden Massnahmen wegfallen und sich damit die soziale Situation für die Angestellten in der Schweiz drastisch verschlechtern. Ein solcher Vertrag würde beim Schweizer Volk keine Gnade finden.

Dritte Täuschung: Die SVP schlägt als Lösung ein „Zwei-Kreise-Zuwanderungsmodell“ aus der EU vor. Der Arzt aus Österreich soll die Familie mitnehmen dürfen, die Hilfspflegerin aus Portugal nicht. Stellen wir uns mal das Szenario vor: Der Vertrag – sollte er überhaupt ausgehandelt werden – müsste von allen 28 EU-Mitgliedstaaten genehmigt werden. Wie sollen die Länder von Portugal bis Polen einem Vertrag zustimmen, der ihre eigenen Landsleute zu Menschen zweiter Klasse macht? Keine Form von Diskriminierung eigener Bürger durch die Schweiz wird von den EU-Staaten je akzeptiert werden. 

Halten wir fest:

  1. Der freie Personenverkehr ist eine der vier Freiheiten und damit ein zentraler Pfeiler der EU.
  2. In der Gestaltung des Arbeitsmarktes und der Sozialpolitik sind die Mitgliedländer weitgehend frei. Wie hoch die Sozialhilfe ist und ob wir einen Mindestlohn einführen ist uns überlassen. Aber aufgepasst:
  3. Was wir für uns beschliessen, gilt zwingend auch für die EU-Bürgerinnen und EU-Bürger in unserem Land. Personenfreizügigkeit heisst: diskriminierungsfreier Zugang zum Arbeitsmarkt. Die EU lässt sich von der Schweiz nicht am Herz operieren.

Die Minderheit hatte am Sonntag recht. Trotzdem ist der Volkswille zu akzeptieren. Aber deswegen muss man sich nicht das eigene Grab schaufeln. Es wird der Tag kommen, wo wir uns nochmals entscheiden müssen: Wollen wir am Entscheid vom letzten Sonntag festhalten und die Bilateralen kündigen oder wollen wir uns nicht doch an die Hausaufgaben machen? Das fremdenfeindliche Drittel werden wir nicht gewinnen. FDP-Müllers Strategie einer verschärften Ausländerpolitik ist strategisch blind. Die EU-Skeptiker gewinnen wir auch nicht. Deren Haltung wird sich erst ändern, wenn die EU-Staaten wieder im Aufschwung sind. Fokussieren muss sich unsere Politik auf jene Menschen, die grundsätzlich für die Öffnung sind, aber am Sonntag die Rote Karte gezeigt haben. 

Die typische Vertreterin dieser Position lebt in der Agglomeration, wo sich das Umfeld rasch und ständig verändert. Zersiedelung, überteuerte Wohnungen, fehlende Kinderbetreuung, Pendlerstress, zunehmende Anonymität. Die Agglomerationen müssen städtischer und damit lebenswerter werden. Die Raumplanung muss konsequent umgesetzt und der Landschaftsverschleiss gestoppt werden. Es braucht bezahlbare Kinderbetreuung und bezahlbaren Wohnraum. Und es braucht eine Wirtschaft, die vom hohen Ross steigt und die Signale der Bevölkerung hört. So wird aus der Minderheit wieder eine Mehrheit.

 

Publiziert in der NZZ vom 13. Februar 2014

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