Rede von Nationalrätin Martina Munz zum 1. Mai 2019 in Schaffhausen.
Liebe Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, liebe Genossinnen und Genossen, liebe Besucherinnen und Besucher der 1. Maifeier
Der Tag der Arbeit ist ein Protesttag und ein Festtag. Am heutigen 1. Mai protestieren wir, weil unsere Gesellschaft noch weit weg ist von Gleichstellung und Gerechtigkeit. Wir feiern aber auch, dass es viele Menschen gibt, die sich für eine gerechtere Gesellschaft engagieren. Es freut mich, dass so viele Leute hier auf dem Fronwagplatz versammelt sind. Danke, dass ihr alle da seid, danke dass ihr euch für Gleichstellung und Gerechtigkeit einsetzt!
Der Schaffhauser 1. Mai steht unter dem Motto «Mehr Frauen Punkt». Wir fordern heute mehr Gerechtigkeit für Frauen und mehr Gleichstellung, mehr Frauen in Politik und Wirtschaft. In der Politik ist eine angemessene Frauenvertretung noch immer eine seltene Ausnahme. Auch in Schaffhausen sind Frauen in der Politik krass untervertreten. Eine einzige Frau sitzt in der Regierung, eine einzige Frau im Stadtrat, nur 9 Frauen sind im Stadtparlament und im Kantonsrat sind gerademal 14 Frauen. Gibt es einmal eine Frauenmehrheit in einem Gemeinderat wie in Schleitheim, dann ist das eine Sensation. Und es löst sogar Diskussionen aus.
In der Wirtschaft sind Frauen in Führungsgremien noch massiver untervertreten als in der Politik. In den Geschäftsleitungen der hundert grössten Schweizer Unternehmen kommt auf elf Männer eine einzige Frau. Die Hälfte aller Betriebe hat gar keine Frau in der Geschäftsleitung! Auch Verwaltungsrätinnen muss man mit der Lupe suchen. Die sogenannt fortschrittliche Schweiz belegt europaweit bei der Frauenquote einen Schlussrang. Und eines ist sicher: Das liegt sicher nicht an der Qualität der Frauen und auch nicht an ihrer Ausbildung. Die männerdominierte Wirtschaftswelt ist noch nicht bereit Frauen als gleichberechtigt auf Führungsebene zu akzeptieren und die Macht mit Frauen zu teilen. Frauen stossen an die gläserne Decke! Die gläserne Decke ist aber bei uns aus Beton!
Unsere Geduld ist zu Ende! Wir fordern ein anderes Wirtschaftssystem. Wir fordern ein System, in dem Frauen und Männer gleichgestellt sind! Deshalb stehen wir heute hier und fordern gerechtere Arbeitsbedingungen. Und deshalb wird am 14. Juni gestreikt! Auch in Schaffhausen gehen Frauen und Männer auf die Strasse. Die Gleichstellung kommt auch den Männern zu Gute. Viele Männer wollen aktiv am Familienleben teilnehmen und nicht nur Wochenende-Papis sein. Dafür brauchen wir mehr andere Arbeitsbedingungen und einen Vaterschaftsurlaub, der diesen Namen verdient. Ich fordere die Männer auf, kommt auch am 14. Juni an den Frauenstreik und steht für Gleichstellung ein. Denn gemeinsam gewinnen wir viel: ein gleichberechtigte Gesellschaft.
Wir brauchen ein Wirtschaftssystem mit einer anderen Unternehmenskultur. Heute sind Stellenprofile für traditionelle Männerkarrieren zugeschnitten. Die Firmen wollen daran nichts ändern. Es werden nur Frauen angestellt, die in dieses Schema passen. Wir brauchen ein Umdenken der Wirtschaft und das ist nur möglich, wenn viele Frauen in der Führungsetage Platz nehmen. Frauen und Männer wollen heute trotz Kaderpositionen Teilzeit arbeiten. Ich fordere auch die Männer auf, ihre Rolle als Väter, die an der Erziehung teilhaben wollen, einzufordern und Teilzeit zu beanspruchen. Teilzeitarbeit darf kein Karrierekiller sein. Wir fordern darum Teilzeitarbeit in Kaderpositionen für Frauen und für Männer.
Die öffentliche Hand sollte mit gutem Beispiel vorangehen. Genauso wie das die Bundesverwaltung aufgrund eines Pilotprojekts von Bundesrätin Simonetta Sommaruga vormacht. Für Familienarbeit dürfen alle das Arbeitspensum um 20 Prozent reduzieren, sofern es nicht tiefer als 60 Prozent fällt. Und alle Kaderstellen können grundsätzlich auch von Teilzeitlern besetzt werden. Dieses Modell kommt von innovativen Topfirmen, die damit beste Erfahrungen machen und damit motivierte Angestellte rekrutieren. Das familienfreundliche Modell ist gleichzeitig ein Erfolgsmodell für die Wirtschaft. Ich fordere alle innovativen Firmen, aber auch den Kanton und die Stadt Schaffhausen auf sich ein Beispiel am Bund zu nehmen und familienfreundliche Arbeitsmodelle einzuführen.
Es braucht auch ein neues Rollenverständnis. Von den Frauen wird immer mehr erwartet. Mehr Leistung, mehr Professionalität, mehr Multitasking. Frauen sollen arbeiten, als hätten sie keine Kinder und Kinder betreuen und erziehen, als würden sie nicht arbeiten. So lange die Frauen diese Rollenzuteilung akzeptieren, solange profitiert die männlich dominierte Wirtschaft. Damit soll jetzt Schluss sein.
Frauen verdienen noch immer rund einen Fünftel weniger als ihre männlichen Kollegen. Sieben Prozent davon sind nicht erklärbar. Diese Ungerechtigkeit zeigt sich schon bei der ersten Stelle, beim Berufseinstieg. Sieben Prozent, das entspricht ziemlich genau dem 13. Monatslohn. Man könnte also sagen, es ist wie wenn die Wirtschaft den Frauen systematisch einen 13. Monatslohn verweigern würde. Welcher Mann würde das geduldig schlucken?
Auch die Frauen schlucken das nicht mehr! Wir fordern Lohngleichheit und zwar jetzt.
Der kleinere Lohn straft auch die Frauen im Alter. Altersarmut hat ein Geschlecht, sie ist weiblich! Kleine Löhne und Teilzeitarbeit sind in der Pensionskasse schlecht oder gar nicht versichert. Darum bekommen die Frauen im Alter meistens nur die AHV und sind auf Ergänzungsleistungen angewiesen, obwohl sie in ihrem Leben mindestens gleich viel gekrampft haben wie die Männer. Mit der Altersreform kommt nun das Privileg der Frauen, das Rentenalter 64 unter Druck. Mit dem Finger wird auf das Rentenalter gezeigt und «Gleichberechtigung» gerufen. Das einzige Privileg der Frauen soll abgeschafft werden. Gegen alle Diskriminierungen der Frauen wird aber nichts gemacht. Da sagen wir Nein!
Liebe 1. Mai Besucherinnen und Besucher, wenn mindestens 40% Frauen in Führungsgremien sind, wenn Teilzeitarbeit kein Karrierekiller ist, wenn es zwischen Mann und Frau keine Lohnunterschiede mehr gibt, wenn Frauen beim Berufseinstieg gleich viel verdienen wie Männer, wenn Pensionskassen der Frauen gleich prall gefüllt sind wie bei Männern …
Ja, wenn diese Diskriminierungen der Vergangenheit angehören, dann werden wir unser einziges Privileg, das Rentenalter 64, gerne mit den Männern teilen. Und dann müssen wir am 14. Juni nicht mehr streiken. Aber so weit sind wir leider noch lange nicht. Darum sind wir heute hier und gehen auch am 14. Juni auf die Strasse.
Wir Frauen haben genug. Wir fordern echte Gleichberechtigung! Wir fordern gleiche Rechte für alle, denn Frauenrechte sind Menschenrechte!
Ich danke euch für euer Engagement!