Mindestlohn – ein Frage der Würde!

Philipp Hadorn, Nationalrat SO

Philipp Hadorn, Nationalrat SO
Ganz freiwillig hätten Mitarbeitende einer Tessiner Bude unterschrieben, dass sie gegen die Mindestlohninitiative seien. Diese Aussage stammt aus der Tessiner Presse über die Firma Gesitronic in Carlo. Das Motto lautete: „Lieber 3‘000 Franken im Monat als Arbeitslosigkeit“. Wäre dies die einzige Alternative, könnte ich diese Aussage noch verstehen.

Mit einer teuren Kampagne fährt das Nein-Komitee eine Offensive der Desinformation. Die Botschaft ist einfach: „Arbeitsplätze vernichten? – Nein!“ Nun, in der Meinung, dies treffe zu, kann diese Kampagne sehr wohl Existenzängste aufgreifen. Das ist verständlich. Doch wissen wir alle, dass Werbeslogans nicht selten kaum etwas mit der Wahrheit zu tun haben. Das ist auch bei dieser politischen Kampagne der Fall.

Mag sich noch jemand an die Zeit erinnern, als wir in der Schweiz noch keinen Anspruch auf Ferien mit Lohnfortzahlung hatten? Natürlich haben wir uns längst daran gewöhnt, dass mindestens vier Wochen Ferienanspruch besteht. Verschiedene GAVs regeln auch höhere Ansprüche. Niemand käme heute auf die Idee, dieses Mindestmass sollte nicht gesetzlich geregelt sein. Doch bereits bei deren Einführung wehrten sich Wirtschaftskreise dagegen und legten dar, dass dies nicht finanzierbar sei. Vorerst waren es die Angestellten, die 14 Tage Ferien erhielten. Ende der 40er und anfangs der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde in kantonalen Gesetzen dieser Mindestanspruch für alle garantiert. Erst seit dem 1. Juli 1984 ist eine Mindestferiendauer von vier Wochen gesamtschweizerisch für alle Arbeitnehmenden geregelt.

Gesellschaftliche Veränderungen führen zu gesetzlichen Anpassungen. Wie mit den Ferien ist es auch beim Lohn. Zuerst werden in Verhandlungen zwischen den Gewerkschaften und der Unternehmung Löhne festgelegt, später kommen diese in Gesamtarbeitsverträge. Nach einer längeren Bewährung in der Praxis gehören diese nun auch ins Gesetz: Als Mindeststandard, damit schwarze Schafe nicht Wettbewerbsvorteile auf Kosten ihrer Beschäftigten erheischen können.

Am 18. Mai haben wir nun die Gelegenheit, nach Aufnahme von Ferienansprüchen, Altersvorsorge, Unfallversicherung und weiteren Errungenschaften auch einen moderaten Mindeststandard bei den Löhnen gesetzlich zu verankern. Die vorliegenden Verfassungsinitiative bietet dazu ein optimale Grundlage, ins Gesetz aufzunehmen, was eigentlich jeder Mensch als vernünftig und gerecht erachtet: Ein Arbeitnehmer respektive eine Arbeitnehmerin soll vom Lohn auch anständig leben können. Mindeststandards bieten ein Sicherheitsnetz, ein Netz, dass rund 330‘000 Menschen die ihnen zustehende Würde zurück gibt. Wir brauchen nicht Fallschirme für einzelne Gutverdienende, wir brauchen anständige Mindeststandards „für alle statt für wenige“. Nutzen wir diese Chance und klären wir unsere Bekannten auf und stimmen wir unserer Mindestlohninitiative klar zu!

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