Als Gewerkschafter beim SEV, der Gewerkschaft des Verkehrspersonals, zudem früher in einer Vorgängerorganisation der heutigen Gewerkschaft Syndicom, habe ich Einblick in viele Löhne. Ist Ihnen bewusst, welche Tiefstlöhne heute in diesen Branchen vorkommen?
Beispielsweise im Umfeld der Medienbranche: Unsere gute, bewährte Post hat Bereiche in Töchterfirmen ausgelagert. Ein Presseverteiler, konkret eine Tochterunternehmung der Post, bezahlt als Mindestlohn gerade 3300 Franken pro Monat Die Postregulierungsbehörde Postcom beziffert diesen Mindestlohn in Kurier-, Express- und Paketlogistik als branchenüblich. Buchbinder erhalten einen Mindestlohn von 3800 Franken und in Callcentern werden in einzelnen Regionen der Schweiz gar lediglich 3180 Franken pro Monat ausbezahlt.
Die Bahngastronomie bezahlt Mindestlöhne je nach Betreiber von 3400 bis 3700 Franken und bei Seilbahnen von 3500 Franken. Bei den Bahnen kommen Mitarbeitende mit Tiefstlöhnen meist auf die hier diskutierten 4‘000 Franken, einige davon aber nur inklusiv Zulagen.
Die mit unseren Steuergeldern ausfinanzierte Airline Swiss, inzwischen für ein Butterbrot an die Lufthansa verscherbelt, hat Mindestlöhne ab 3650 Franken und schreckte nicht davor zurück, gerade wieder Auslagerungen zu beschliessen, jüngst Bereiche des Personaldienstes nach Krakau.
Hier im Saal werden nicht selten Loblieder auf die Sozialpartnerschaften gesungen. Meine tägliche Arbeit bewegt sich in diesen Sozialpartnerschaften. Wissen Sie, dass sich der Flughafen Zürich weigert, einen Gesamtarbeitsvertrag abzuschliessen, ebenso derjenige hier in Bern? Wussten Sie, dass die Betriebe um den Euroairport bei Basel mit uns Gewerkschaften die Anwendung von Schweizer Recht gegenüber Frankreich erzwingen wollen, Bekenntnisse zu Sozialpartnerschaften abgeben, sich aber weigern Gesamtarbeitsverträge abzuschliessen? Kennen Sie all die Seilbahnen, darunter auch sehr grosse, welche den neuen Branchenvertrag nicht anwenden wollen?
4000 Franken pro Monat reichen mehr schlecht als recht zur Bestreitung der Lebenskosten. Im Gesetz haben wir Höchstarbeitszeit, minimale Ferienansprüche und Normen der Arbeitssicherheit und vieles mehr geregelt. Diese gesetzlichen Vorgaben untergraben den Spielraum für Vertragsverhandlungen der Sozialpartner faktisch nicht. Sie garantieren aber einen Mindeststandard, den wir als Gesellschaft respektieren. Beim Lohn fehlt dies.
Natürlich, hier im Saal ändert sich der persönliche Lohn mit einem gesetzlich verbrieften Mindestlohn bei keinem einzigen Parlamentsmitglied. Gesetze und Regulierungen zu diskreditieren und ständig zu hinterfragen ist jedoch nicht die Aufgabe von einem Parlament. Wir sind gewählt, um gute Gesetze zu erarbeiten. Diese gilt es kreativ und sinnvoll zu gestalten, praxistauglich zu formulieren und deren Durchsetzung sicherzustellen. Alles andere scheint mir staatsfeindlich und untergräbt den sozialen Frieden, ein Teil des viel zitierten Erfolgsmodells „Schweiz“. Das Eintreten für eine Ethik in der Wirtschaft und die Sicherung des Lebensstandards für alle Menschen in der Schweiz sind nicht nur Aufgaben der Linken, sondern mit Sicherheit auch von Menschen, die sich auf den christlichen Glauben berufen, und eigentlich aller, denen der soziale Frieden in unserem Land am Herzen liegt und der Begriff „Gerechtigkeit“ auch Inhalt bedeutet.
Empfehlen wir die Volksinitiative zur Annahme und zeigen wir damit, dass soziale Verantwortung mehr als eine leere Worthülse unserer Parteiprogramme oder Glaubensbekenntnisse ist. Handeln wir doch ganz einfach entsprechend unserem Versprechen beim Amtsantritt, welches mit Berufung auf die Verfassung das Wohl der ganzen Bevölkerung beinhaltet. In den vergangenen Wochen konnten wir sehen, dass selbst für klassisch margenarme Branchen ein anständiger Mindestlohn möglich ist. Helfen wir noch zaudernden Unternehmen, indem wir verbindliche Mindeststandards im Lohnbereich schaffen. Damit geben wir auch weniger vom Erfolg verwöhnten Menschen die Chance, wieder Vertrauen in die Politik zu gewinnen und Teil einer Gesellschaft zu werden, welche auch ihre Bedürfnisse und Nöte ernst nimmt und nach Lösungen sucht.
Nutzen wir die Mindestlohn-Initiative als Chance für ein wenig mehr Gerechtigkeit!