Mir blutet das Herz. Genug ist genug.

Blogbeitrag einer anonymen Ausländerin zum Thema „Mutterschaft und Gewalt“, veröffentlicht im Rahmen der 16 Tage gegen Gewalt an Frauen.

Im vorigen Jahr verlor ich meine Mutter an Brustkrebs, nachdem sie schon vor mehreren Jahren den bösartigen Eierstockkrebs besiegt hat. Manchmal war ich wütend auf sie, weil sie zu spät in ärztliche Behandlung gegangen ist. Sie fühlte sich von den Ärzten nicht ernst genommen. Vieles habe ich damals noch nicht verstanden. Nun merke ich es, wie sich das anfühlt.

Obwohl mir wahrscheinlich mit der genetischen Veranlagung das gleiche Schicksal droht, bin ich regelrecht schockiert, wie wenig ich seelisch und schon gar nicht finanziell unterstützt werde. Mit der Aussicht, dass ich mit 45 meine Brüste und Eierstöcke entfernen lassen sollte, bin ich auf mich allein gestellt. Selbst einen BRCA-Test, der Aufschluss darüber geben würde, ob ich die Veranlagung zu Eierstockkrebs aufweise, müsste ich selbst bezahlen (fast 4’000 Franken), und dass, obwohl diese Wahrscheinlichkeit hoch ist und die Überlebenschance bei Eierstockkrebs bei unter 50% liegt. Ich spiele mit dem Gedanken, alles im Ausland zu machen, gerade auch, weil ich erfahren habe, dass in der Schweiz die Eierstöcke nur ambulant entfernt werden. Mehr ist nicht vorgesehen. Mit dem zermürbenden Gefühl, dass ich in der Schweiz die «für mich als Frau» wesentliche Behandlungen und Untersuchungen kaum bezahlt bekomme, bleibe ich in dieser Frage zerknirscht zurück.

Ich besitze einen hohen Universitätsabschluss. Das Berufsleben als Mutter habe ich mir aber so nicht vorgestellt. Die Teilzeitarbeit ist zermürbend und ich muss jede Stunde produktiv sein. Zeit für Gespräche ist nicht vorgesehen. Jede einzelne Arbeit muss ich vom Zeitaufwand her genauestens protokollieren, seitdem ich nicht mehr bereit war, gratis bis in die Nacht zu arbeiten und mir immer noch mehr Aufträge aufdrücken zu lassen. Ich fühle mich wie eine Dienstmagd und sehe immer wieder, wie die langjährigen Mitarbeiterinnen übergangen werden und der rote Teppich für die Männer ausgebreitet wird. Als man von uns Mitarbeitern plötzlich erwartet hat, dass man auch notfallmässig an Abenden und Wochenenden erreichbar sein sollte, da man wohl an den temporären Mitarbeitern sparen wollte, habe ich mich dagegen gestellt. Klar wurde schnell Ersatz für mich gefunden und ich stehe wohl auf der Abschussliste. Wie ich in Erfahrung bringen konnte, hat man der neuen, niedrig bezahlten, kinderlosen, nicht deutschsprachigen Frau gleich den Kaderstatus vergeben, mit dem Vorteil, dass Überstunden nicht bezahlt werden müssen. Sie schreibt mir sogar Emails nach Mitternacht. Wie praktisch.

Seit der Geburt meines Kindes konnte ich kaum etwas auf die Seite legen, zu hoch sind die Kosten, die schon alleine wegen der Berufstätigkeit erst entstehen. Vor der Geburt hingegen war ich noch damit beschäftigt, die Schulden für das Studium zurückzuzahlen. Ich glaube nicht, dass ich meiner Tochter den universitären Bildungsweg nahelegen möchte.

Die drohende Arbeitslosigkeit hat aber typischerweise «für mich als Frau» kaum finanzielle Auswirkungen und ich habe die letzten Jahren seit der Geburt meines Kindes eigentlich nur für den Lebenslauf und kaum für das Geld gearbeitet. Lieber hätte ich nicht gearbeitet, aber da die Pflege von Angehörigen und die Erziehung des Kindes in patriarchalen Herrschaftsstrukturen nicht als Führungsqualität und nur als verlorene Lebensjahre angesehen werden, fühlte ich mich dazu genötigt, weiter und immer weiter zu arbeiten. Ansonsten das alte Lied. Fast 2/3 des Lohnes geht für die externe Kinderbetreuung, die Autofahrten, zusäzliche Steuern, Mittagessen und die höheren Arztkosten drauf.

Erfüllend oder schön sind die Jahre nicht gewesen, als ich gleichzeitig arbeiten und für meine kleine Tochter schauen musste. Ich hätte mir für sie eine andere Kindheit gewünscht. Die chronische Überarbeitung ist nicht spurlos an mir vorbei gegangen. Jederzeit könnte ich im Sitzen einschlafen, wenn ich nur die Augen schliessen würde, so erschöpft bin ich. Meine Bandscheiben schmerzen, an manchen Morgen kann ich kaum aufstehen. Der Arzt nimmt mich nicht für voll. Meine Tochter war gerade vor zwei Wochen auch wieder mal über mehrere Tage krank. Im Jahr 2020 war sie das nun schon an 94 Tagen. Der Arbeitgeber meinte gönnerhaft, dass es ja kein Problem sei, und ich die Stunden flexibel nacharbeiten könnte. Wie schön. Das einzige freie Zeitfenster ist zwischen 23 Uhr abends und 5 Uhr morgens.

Corona hat alles noch schlimmer gemacht. Mein über 70-jährigen alleinstehenden Vater, der auch Herzkreislauf- und Asthmapatient ist, ist an Covid 19 erkrankt. Ohne mich wäre er über mehrere Tage ganz auf sich alleine gestellt gewesen. Niemand hat sich um ihn gekümmert. Macht ja auch nichts, zum Glück gibt es ja eine Tochter, die mehrmals täglich anruft und die Lebensmittel und Medikamente ihm an die Tür hängt, auch wenn die Fahrt mehr als eine Stunde beträgt. Zum Glück geht es meinem lieben Vater wieder besser, auch wenn er nach mehreren Wochen noch unter Kurzatmigkeit und Müdigkeit leidet.

Auch in der Kinderkrippe meiner Tochter geht es wild zu und her. Nach einem Coronafall ging die Kinderkrippe schon nach einer Woche wieder auf, ohne dass die Kinder oder Eltern getestet worden wären. Die Arbeit ruft und alles andere hat sich dem gefälligst unterzuordnen. Meine 4-jährige Tochter hat mir erzählt, dass sich die Kinder nicht mehr an den Händen halten dürfen und nicht zu nahe zusammensitzen und spielen dürfen. Singen und selbstgemachte Kuchen sind verboten. Auch die Spielplätze werden gemieden. Meine eigentlich krippenerprobte Tochter ist abends mit der Stimmung am Tiefpunkt. Die Betreuerinnen sind maskiert und gestresst. An einem Wochentag musste ich meine Tochter von der Kinderkrippe nehmen, weil zwei Jungs sie geschlagen haben. Gestern kam meine Tochter mit einem geschürften und geschwollenen Knie heim. Natürlich habe ich das Knie mit Wundspray und Arnikasalbe versorgt. Die Betreuerinnen haben sich die Wunde noch nicht einmal angesehen.

Mir blutet das Herz. Es ist wohl wirklich das Beste, wenn ich nicht mehr arbeite. Genug ist genug.

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