In den Voten der GegnerInnen der Initiative habe ich nun oft gehört, dass der liberale Arbeitsmarkt die gute Beschäftigungssituation der Schweiz ausmache und damit auch das Erfolgsmodell. Ich sage ihnen dazu, es ist auch der liberale Arbeitsmarkt, der Armut schafft, nämlich für jene Tiefstlohnbezügerinnen (und ich sage extra –innen, weil es zu drei Vierteln Frauen betrifft), die für eine 100-Prozent-Stelle weniger als 4000 Franken im Monat verdienen. Die Argumente, eine Lehre würde sich nicht mehr lohnen, oder SchülerInnen würden für eine Aushilfsarbeit zu viel verdienen, gehen völlig am Kernproblem, über das wir diskutieren sollten, vorbei: Es gibt in der Schweiz rund 230‘000 Arbeitnehmerinnen, die unter 4000 Franken verdienen. Sie arbeiten vor allem im Dienstleistungsbereich, also als Detailhandelsangestellte, als Coiffeuse, als Restaurationsfachfrau, als Floristin. Sie haben eine Lehre absolviert und verdienen trotzdem nicht mehr als 4000 Franken. Die Lehre lohnt sich hier also definitiv nicht, einen Mangel an Lehrabgängerinnen in diesen Berufen gibt es aber trotzdem nicht. Das Argument, das Herr Nationalrat Noser von der FDP vorgebracht hat, beisst sich also in den Schwanz.
Es sind Frauen, die Tiefstlohnbezügerinnen sind, weil die Berufe, die ich vorher aufzählte, schlecht bewertet und somit auch schlecht entlohnt werden und es sind Frauen, weil in der Schweiz die Lohngleichheit bei gleicher und gleichwertiger Arbeit nicht verwirklicht ist.
Frauen entgehen pro Monat 677 Franken Lohn, weil sie keine Männer sind
Zuerst ein paar Fakten[1]: Der durchschnittliche Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen beträgt 23,6 Prozent oder 1800 Franken pro Monat. Knapp zwei Drittel davon können durch Faktoren wie Ausbildung, Erfahrung etc. erklärt werden. Aber es bleibt eine Differenz von 677 Franken pro Monat, die nicht zu erklären und nicht zu rechtfertigen ist. Dieser diskriminierende Lohnunterschied von 8,7 Prozent oder eben 677 Franken pro Arbeitnehmerin bedeutet hochgerechnet auf alle Arbeitnehmerinnen eine Lohneinbusse aufgrund Diskriminierung von 7,7 Milliarden Franken.
7,7 Milliarden Franken pro Jahr gehen also Frauen generell verloren, weil der Staat nicht in die Löhne eingreifen soll. Ja, sehr verehrte Damen und Herren, zynisch gesagt, scheint sich das auf den ersten Blick durchaus zu lohnen.
Jedoch braucht es trotzdem staatliche Unterstützung, weil genau dieselben Frauen auch nicht von ihrem Lohn leben können. Das wird dann durch die Sozialhilfe ausgeglichen, obwohl die besagten Personen voll arbeitstätig sind.
Zudem benötigen diese erwähnten Frauen im Alter dann Ergänzungsleistungen (auch eine staatliche Leistung), weil sie mit ihrem Lohn nicht genügend Altersguthaben einzahlen können. Diesem Umstand soll nun in einer Übergangslösung für die Altersvorsorge 2020 Rechnung getragen werden. Aber Bundesrat und Parlament weigern sich beharrlich seit Jahren, die Ursache des Problems anzugehen, nämlich die mangelnde Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern und damit auch der unterschiedlichen Arbeitsbewertungen, die zu völlig unterbezahlten Branchen führt.
Deshalb braucht es, vor allem anderen, endlich verbindliche Massnahmen gegen die Lohnungleichheit der Geschlechter. Da würde die Mindestlohn-Initiative einen entscheidenden Beitrag leisten, wie mehrere meiner KollegInnen bereits ausführten, weil sie durch den Mindestlohn die Tiefstlöhne anheben würden, was bereits viel gegen die Lohndiskriminierung bewirken würde.
Andererseits würde, weil der Zugang zur Rente von der Erwerbsarbeit abhängt, auch die Rentenhöhe für Frauen verbessert, beruht doch die Altersvorsorge für 12,6 Prozent der Männer und 37,7 Prozent der Frauen nur auf der ersten Säule[2].
Es geht also, verehrte Kolleginnen und Kollegen überhaupt nicht darum, dass der Staat nicht in die Löhne eingreifen soll. Er soll im Gegenteil seinen Verfassungsauftrag zur Lohngleichheit endlich umsetzen. Dazu würde auch die Mindestlohn-Initiative beitragen, weshalb ich Sie bitte, diese zu unterstützen.
[1] Auf dem Weg zur Lohngleichheit. Tatsachen und Trends. Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann und BFS. Juni 2013
[2] SGB-Dossier Nr. 90: Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung nur für eine Minderheit. Sept. 2012