Die Richtung stimmt, aber die Schritte sind so klein, dass die Geduld da und dort arg strapaziert wird. Die Politik ist zwar das beharrliche Bohren dicker Bretter. In der Frage der Familienpolitik sind die Bretter in der Deutschschweiz besonders dick und auch ziemlich hart. Und so dürfte sich manch eine erwerbstätige Mutter (und wohl auch ein paar Väter) letzten Sonntag gefragt haben: „Was soll das eigentlich? Soll ich mir die Mühen, Beruf und Familie zu vereinbaren überhaupt antun? Soll doch mein Job machen, wer will!“ Und sicher wird dies die Zugbegleiterin denken, die mir auf der Strecke Bern-Zürich letzthin ihren Frust anvertraut hat: „Da lassen sich die Herren aus der SVP und FDP gerne von mir bedienen. Doch was ich in dieser Zeit mit meinen Kindern mache, ist ihnen egal. Was soll das eigentlich? Wenn ich zuhause bleibe, muss einfach sonst jemand den Job machen. Womöglich jemand aus Deutschland. Wir sind doch auch deshalb so stark auf Zuwanderung angewiesen, weil wir den Müttern, die im Job bleiben wollen, so hohe Hürden in den Weg stellen.“
Besonders frustrierend muss der Abstimmungssonntag für die FDP Frauen sein. Seit ich mich erinnern mag, ist das Muster immer gleich: Auf dem Papier wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefordert und mit vielen stimmigen Zahlen als Win-Win-Situation für Wirtschaft und Gesellschaft belegt. Doch wenn’s konkret wird, müssen diese Ziele irgendwelchen ordnungspolitischen Grundsätzen weichen. Dieselben Grundsätze fehlen aber dann, wenn es um Tourismusförderung, Absatzgarantien für die Landwirtschaft oder um Subventionen für die Pferdehaltung geht. Den freisinnigen Wählerinnen kann man nur zurufen: Überlegt auch, ob die FDP wirklich eure Partei ist.
Ebenso ärgerlich ist das Abseitsstehen der Wirtschaft. In der Schweiz wandern Jahr für Jahr Tausende von Fachkräften ein, die auf unserem Arbeitsmarkt fehlen. Darunter viele, die jene Jobs besetzen, die von hiesigen Müttern aufgegeben werden, weil sie nicht wissen, wie sie Familie und Beruf unter einen Hut bringen. Jede Verkäuferin, jede Lehrerin, jede Bus-Chauffeuse, jede Ärztin, jede Zugbegleiterin, jede Pflegefachfrau, jede Lokomotivführerin, jede Malerin, jede Physiotherapeutin, jede KV-Angestellte, jede Zahnärztin, jede Tierpflegerin, jede was auch immer, die aus dem Beruf aussteigt, fehlt.
Der deutsche Arbeitgeberverband, der französische Industrieverband, die schwedische Handelskammer – alle vergleichbaren Arbeitgeberorganisationen in allen vergleichbaren europäischen Ländern stehen zuvorderst, wenn es um die politische Umsetzung von Betreuungsplätzen in guter Qualität geht. Und die Schweizer Wirtschaft? Die setzt 8 Millionen Franken ein, um sich schützend vor die Abzocker zu stellen und lässt ihre Angestellten mit ihren Problemen, Beruf und Familie zu vereinbaren alleine. Kann man solche Verbände als Wirtschaftsvertreter noch ernst nehmen?
Doch was bedeutet das Abstimmungsresultat? Die Mehrheit des Volkes hat Ja zu einem Verfassungsartikel für Familien mit dem Schwerpunkt Vereinbarkeit von Familie und Beruf gesagt. Eine Mehrheit der Kantone ist jedoch der Meinung, dass dieser Volkswille nicht in die Verfassung aufgenommen werden soll. Diese Pattsituation ist mit einem Bundesgesetz für Familien zu lösen. Gesetze brauchen im Unterschied zu Verfassungsänderungen nur die Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten, nicht aber der Kantone. Dieses Gesetz soll die Grundlagen zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stärkung der Familien legen. Das Parlament soll sich an der Landwirtschaftspolitik orientieren und – ähnlich wie für die Bauern – für die Familien ein jeweils auf mehrere Jahre angelegtes Programmgesetz verabschieden. Dazu gehören die Sicherstellung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ein wirksamer Lasten- und Leistungsausgleich zur Stärkung der Familien mit tiefen und mittleren Einkommen sowie wirksame Instrumente zur Bekämpfung der Armut.
Doch auch die Kantone und die Wirtschaft sind gefordert. Im Vordergrund stehen kantonale Anstossfinanzierungen, die sich am entsprechenden Modell des Bundes orientieren. Kantone sollen den Aufbau von Betreuungseinrichtungen in den Gemeinden mit finanziellen Beiträgen unterstützen. Wie das Beispiel des Kantons Waadt zeigt, sind dabei auch die Firmen verbindlich in die Finanzierung einzubeziehen, indem sie pro Angestellte einen Beitrag an einen entsprechenden Aufbaufonds leisten.
Eins jedoch steht fest: Eltern werden in der SP weiterhin eine verlässliche Partnerin im Engagement um eine zeitgemässe Familienpolitik und dabei insbesondere um eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben.