Die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen ist eine sympathische Utopie. Wir stimmen am 5. Juni aber nicht über eine Utopie, sondern über einen konkreten Verfassungstext ab. Und da sind zu viele Punkte ungeklärt oder nicht durchdacht:
- Zentrale Fragen wie die nach der Finanzierung und der Höhe des Grundeinkommens beantwortet die Initiative nicht. Sie will bloss Grundsatzfragen stellen. Die Initianten schlagen pro Monat 2500 Fr. für Erwachsene vor und 625 Fr. pro Kind vor. Das ist je nach Lebenssituation zu viel und zu wenig zugleich. Beim Lohn gilt, dass ein existenzsichernder Lohn mindestens 4000 Fr. betragen muss. Damit kann die Initiative zu Lohndruck führen.
- Die Schweiz hat ein ausgebautes Sozialversicherungssystem. Das gerät mit der Initiative unter Druck. Die Sozialversicherungen lösen Rechtsansprüche aus, die über die nackte Existenzsicherung hinausgehen. Die Initiative spricht bloss von einem Einkommen, dass allen ein menschenwürdiges Dasein sichert. Einige Befürworter des Grundeinkommens propagieren das Grundeinkommen gar als Ersatz für das gewachsene Sozialversicherungssystem. Damit liesse sich nicht nur der gezielte Ausbau torpedieren. Ein tieferes Niveau für alle wäre die Folge. Überspitzt gesagt: Man drückt den Menschen am Rande der Gesellschaft ein Grundeinkommen in die Hände und überlässt sie sich selbst.
- Die bestehenden Sozialversicherungen sichern nicht nur Geldleistungen sondern unterstützen auch die gesellschaftliche Integration. Sie bieten auch Beratung und Unterstützung, um den Betroffenen die Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen. Das ist fast genauso wichtig wie die Geldleistung Das gilt insbesondere für die Arbeitslosenversicherung, die Invaliden- und die Unfallversicherung.
- Ein tiefes Grundeinkommen führt zu einem weiteren Lohndruck. Wenn das Grundeinkommen von 2500 Fr./Mt. nicht zum Leben reicht, müssten mehr SozialversicherungsbezügerInnen zusätzlich eine Erwerbsarbeit suchen. Das höhere Arbeitsangebot drückt die Löhne.
- Die Finanzierung ist unklar. 2500 Fr. Das Grundeinkommen für die ganze Bevölkerung kostet über 200 Mrd. Fr. pro Jahr. Eine Finanzierung über die Mehrwertsteuer hätte einen Satz von über 50 Prozent zur Folge. Ein anderer Vorschlag lautet dahingehend, dass die ersten 2500 Fr. Lohn in eine zentrale Kasse einbezahlt werden. Zusammen mit AHV, Steuern usw. hätte das für Normalverdienende Abgabesätze von 50 Prozent und mehr zur Folge. Ein klarer Anreiz zu Schwarzarbeit. Eine Transaktionssteuer ist sinnvoll zur Regulierung der Finanzmärkte. Damit kommt sie aber für die Finanzierung des Grundeinkommens kaum in Betracht.
- Das Grundeinkommen kann die Vollbeschäftigungspolitik gefährden. Ein bedingungsloses Grundeinkommen macht eine Politik der Sockelarbeitslosigkeit plötzlich politisch salonfähig. Die Erwerbsarbeit ist für die grosse Mehrheit der Menschen aber zentraler gesellschaftlicher Integrationsfaktor. Erwerbsarbeit schafft auch Selbstbewusstsein und Identität. Das Grundeinkommen bringt keine zusätzliche Teilhabe, sondern ermöglicht den Ausschluss. Zu beobachten ist das in Deutschland, wo die Hartz 4 Empfänger vom Arbeitsmarkt abgekoppelt wurden.
- Mit dem Grundeinkommen droht eine Abschottungslogik. Die Funktionsweise des Grundeinkommens bei einem offenen Arbeitsmarkt ist nicht geklärt. Jeder zuwandernden Person ein Grundeinkommen auszurichten, wird auch von den Initiantinnen nicht gefordert. Es drohen deshalb Einschränkungen für Migrantinnen. Wer auswandert, erhält gemäss Initiative kein Grundeinkommen, auch wenn er in der Schweiz dafür finanzielle Leistungen erbracht hat. Das im Gegensatz zu den ordentlichen Sozialversicherungsleistungen. Das ist rechtlich wohl nicht haltbar.
- Mit dem Grundeinkommen führen wir zugleich eine Art Haushaltlohn ein. Das bedeutet ganz klar einen negativen Anreiz für die Erwerbsarbeit ausser Haus. Das würde vor allem die Frauen ans Haus binden. Eine Entwicklung, die gesellschaftspolitisch und emanzipatorisch nicht erwünscht ist.
Gemäss der neusten GFS-Umfrage dürfte das bedingungslose Grundeinkommen Utopie bleiben. Die SP setzt sich für gute Löhne, Vollbeschäftigung, gute Sozialversicherungen und eine sozial gerechte Finanzierung ein. Das lässt sich mit der Initiative nicht realisieren. Im Gegenteil. Sie gefährdet die Sozialwerke, insbesondere den Ausbau der AHV, stellt Vollbeschäftigung und den Lohnschutz in Frage. Zentrale Probleme, wie die künftige Arbeitsverteilung in einer digitalisierten Wirtschaft und die Verteilung der Produktivitätsgewinne bleiben aber auf der politischen Agenda. Wer sich mit dem Grundeinkommen vertieft auseinandersetzt, anerkennt, dass die zentralen Fragen der Finanzierung, der Höhe des Grundeinkommens, der flankierenden Massnahmen und der gesellschaftlichen Integration nicht ausgeklammert werden dürfen.