Wer die Debatte in den Medien und in der Öffentlichkeit verfolgt, stellt rasch fest, wie unterschiedlich der Gesetzestext ausgelegt wird. Genau da zeigt sich das grosse Problem. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte EGMR hätte der Gesetzgeber den Auftrag gehabt, eine klare und eindeutige Rechtsgrundlage für Observationen zu schaffen. Was das Parlament abgeliefert hat, verdient die Note „ungenügend“ und gehört deshalb zurück an den Absender.
Unklar ist – trotz gegenteiliger Äusserungen des Bundesrats – der Bereich, in dem observiert werden darf. Was von einem allgemein zugänglichen Ort aus frei einsehbar ist, darf gemäss Gesetzestext observiert werden. Observieren heisst: Ton- und Bildaufnahmen machen. Darf also ein Privatdetektiv von der Strasse aus in ein Schlafzimmer hinein filmen? Da es zum neuen Gesetzesartikel keine bundesgerichtliche Rechtsprechung gibt, kann man sich nicht auf Entscheide des Bundesgerichts berufen. Erst die Zukunft wird zeigen, ob und wie die Privatsphäre geschützt werden wird.
Absolut stossend ist auf jeden Fall die Tatsache, dass in Zukunft die Versicherungen selber über eine Observation entscheiden sollen. Die Versicherungslobby hat im Parlament ganze Arbeit geleistet. Sie haben sich mit fadenscheinigen Argumenten dagegen gewehrt, dass wie bei der Polizei eine gerichtliche Instanz über die verdeckte Ermittlung entscheiden muss. Die Versicherungslobby hat mit ihrer Intervention dafür gesorgt, dass rechtsstaatliche Prinzipien ausser Acht gelassen werden. Damit hat ein Direktionsmitglied einer Versicherung mehr Kompetenzen als die Polizei. Dass die Mehrheit des Parlaments einer Vorlage zugestimmt hat, die voraussichtlich einer erneuten Prüfung durch den EGMR nicht Stand halten würde, ist eine Schande. Die Stimmbevölkerung hat nun die Möglichkeit, die Ehre der Schweiz zu retten und dem Rechtsstaat zum Durchbruch zu verhelfen.