Neofeudale Briefkästen

Anita Fetz, Ständerätin BS, Vizepräsidentin der SP-Bundeshausfraktion

Anita Fetz, Ständerätin BS, Vizepräsidentin der SP-Bundeshausfraktion
In der EU ist die Arbeitslosigkeit auf 11 Prozent gestiegen: 27 Millionen Menschen sind ohne Arbeit. Besonders betroffen sind die Jungen, von denen jeder Vierte arbeitslos ist. Griechenland und Spanien bewegen sich sogar auf einen Zustand zu, bei dem zwei von drei Jugendlichen keine Arbeit haben. Das sind nicht nur menschliche Tragödien – da tickt im Süden Europas eine Zeitbombe. Die internationale Arbeitsorganisation ILO warnte deshalb in einem Bericht vor sozialen Unruhen. Der NZZ war das auch Tage nach Veröffentlichung keine Zeile wert.

Als der ILO-Bericht erschien, diskutierte die Presse lieber die Offshore-Leaks, bei denen man aus unterschiedlichen Gründen gemischte Gefühle haben kann. Etwa bei der Frage, wem die Veröffentlichung nützt. Oder auch der Frage, ob die Schweiz nun ebenfalls gestohlene Daten verwenden soll. So oder so: Appetitlich ist anders.

Experten in der Schweiz versuchten sich in Schadensminderung und erklärten, es gehe da oft um ganz legale Geschäfte. Etwa darum, das Vermögen vor der Ehefrau zu verstecken. Einmal abgesehen davon, dass das dem Mindestmass an ehelichem Anstand widerspricht, ist diese Legalitätsbehauptung aus zwei Gründen absonderlich: Zum einen steht sie in Widerspruch zum Zivilgesetzbuch (Artikel 170 ZGB: Auskunftspflicht unter Ehegatten). Und zum anderen glaubt ja wohl kein Mensch, bei den fraglichen Summen gehe es um die Sparsäuli von ein paar schäbigen Ehemännern.

Eines der Probleme Griechenlands ist die quasi-traditionelle Steuerhinterziehung. 1998 fiel dem Athener Finanzministerium auf, dass sich griechische Offshore-Konstrukte rasant verbreiteten. Griechenland wurde darauf bei der OECD vorstellig. Es wünschte von der OECD die Aufforderung an die Mitgliedsländer, keine griechischen Offshore-Gesellschaften mehr aufzunehmen. Die Bitte wurde abgelehnt. Das Steueraufkommen griechischer Offshore-Firmen brach in den letzten zwei Jahren um weitere 90 Prozent ein. Als neue Faustregel gilt: Als erstes verlassen nicht Ratten ein sinkendes Schiff, sondern ihr Geld.

Griechenland ist kein Einzelfall. Die EU schätzt, dass ihren Mitgliedsländern durch Steuerhinterziehung und Steuerumgehung pro Jahr 1000 Milliarden Euro verloren gehen. Das sind 37’000 Euro pro Arbeitslosen. Das ist Geld, das für Schuldenabbau und Investitionsprogramme fehlt. Dafür werden knallharte Sparprogramme durchgezogen – in der Regel undemokratisch und ohne Massnahmen gegen Steuervermeider. Und vor allem ohne vernünftige Massnahmen für eine Ankurbelung der Beschäftigung.

Das wird den Binnenkonsum weiter schwächen, die Beschäftigungsrate in neue Tiefen reissen, die Jugendarbeitslosigkeit in noch dramatischere Höhen treiben und die Steuereinnahmen weiter schrumpfen lassen. Wird ein solches Programm konsequent durchgesetzt, landet man nicht beim Gesundschrumpfen, sondern beim Totsparen: Es wird die Länder ins Elend stürzen.

Natürlich ist Steuervermeidung nur einer von vielen Gründen für die desolate Lage im Süden. Aber ein wichtiger. Er rückt auch die ILO-Warnung vor sozialen Unruhen in ein anderes Licht: Wenn die am härtesten von Massenarbeitslosigkeit betroffenen Bevölkerungen zu ahnen beginnen, dass neofeudale Reiche mit Briefkastenfirmen auf Offshore-Plätze geflüchtet sind und eine ganze Generation die Suppe auslöffeln lassen, geht der Zunder los. Dann gute Nacht Europa.

Auch das ist eine der Botschaften der Offshore-Leaks.

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