Nicht in den eigenen vier Wänden

Interview mit Mattea Meyer, veröffentlicht am 15. Februar 2019 auf www.100frauen.ch

Mattea Meyer (*1987) politisierte bereits als Jugendliche. Heute ist sie Nationalrätin, Co-Präsidentin der Sans-Papier-Plattform Schweiz und Präsidentin des Schweizerischen Arbeiterhilfswerk Schweiz SAH.

Frau Meyer, was hat der Feminismus in der Schweiz bis jetzt erreicht? – Was noch nicht?

Mattea Meyer: Dass wir Frauen wählen können, dass es einen Mutterschaftsurlaub gibt, dass Gleichstellung im Gesetz verankert ist oder dass Vergewaltigung in der Ehe bestraft wird, haben wir engagierten Feministinnen der letzten hundert Jahren zu verdanken. Wir können heute auf dem aufbauen, wofür sie gekämpft haben.

Ich gehöre zu einer Generation Frauen (und Männer), denen vorgegaukelt wird, sie könnten alles sein und alles machen, was sie wollen. Du bist unzufrieden, dass du am Ende des Monats 1’000 Franken weniger im Portemonnaie hast als dein Arbeitskollege? Selber Schuld, du musst halt fordernder auftreten. Dich verletzen sexistische Sprüche? Du musst dich halt wehren. Damit wird der Kampf gegen die Ungleichheit und gegen Sexismus zu einem privaten Kampf in den eigenen vier Wänden. Doch das ist trügerisch und gefährlich. Es verdeckt, dass wir nach wie vor in einer von Ungleichheit geprägten Gesellschaft leben.

Dass die feministische Bewegung politischer und stärker wird, macht Mut.

Weshalb braucht es mehr Frauen in der Politik? 

Weil nicht mehr länger ein paar mächtige, weisse, ältere Herren alleine bestimmen sollen, wie wir als Gemeinschaft in Zukunft zusammenleben sollen.

Care-Berufe – in unserer Gesellschaft typische «Frauenberufe» – sind verantwortungsvoll, anstrengend und schlecht bezahlt. Wie könnte das geändert werden?

Wenn ältere oder kranke Menschen nicht gepflegt oder kleine Kinder nicht betreut werden, dann geht es ihnen schlecht oder sie sterben sogar. Es ist für mich unverständlich, dass die Gesellschaft dieser wichtigen Arbeit so wenig Wert beimisst. Darüber braucht es endlich eine gesellschaftliche Debatte. Nicht zu vergessen, dass ein grosser Teil der Care-Arbeit unbezahlt und von Frauen geleistet wird. Diese unbezahlte Arbeit muss endlich anerkannt werden und zum Beispiel auch bei der Altersvorsorge mitberücksichtigt werden.

Können Männer etwas zum Feminismus beitragen?

Ja sicher, sie können nicht nur, sie müssen. Wir kommen nur vorwärts, wenn sich auch Männer mit ihren Rollen auseinandersetzen und wenn auch sie gegen einzwängende Rollenbilder und ungerechtfertigte Privilegien kämpfen. Ich finde, viele Männer sind zu still, wenn es um feministische Themen geht.

Welche Feminist_innen/Pionierinnen sollten unsere Leser_innen kennen?

Es gibt so viele beeindruckende Feminist_innen. Als Jugendliche haben mich die Bücher von Simone de Beauvoir inspiriert. Ich lese gerne Texte von Laurie Penny. oder auch Rebecca Solnit. Und ich diskutiere leidenschaftlich gerne mit Freundinnen und Freunden über Feminismus.

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