Organe retten leben, aber in der Schweiz fehlen lebensrettende Organe. 2019 befanden sich über 1415 Menschen auf der Warteliste für ein passendes Organ. Darunter auch Kinder. Im gleichen Jahr starben 46 Menschen, weil nicht rechtzeitig ein Organ gefunden wurde. Diese Situation hat sich in den letzten Jahren sogar verschlechtert. Die Zahl der Organspender:innen in der Schweiz lag 2020 mit 146 Spenden rund 7 % tiefer als im Jahr zuvor. Die Warteliste wird länger, die Wartezeit auch. Für die betroffenen Menschen und ihre Angehörigen ist das eine sehr belastende Situation.
Weil zu wenig Menschen in der Schweiz zu Lebzeiten ihren Willen festhalten, müssen die Angehörigen der verstorbenen Person entscheiden. Es gilt die so genannte Zustimmungsregel. Im Schock- und Trauerzustand entscheiden sich die Angehörigen in 60 % der Fälle gegen eine Organentnahme. Der Blick auf die hohe Spendenbereitschaft macht deutlich, dass Organentnahmen abgelehnt werden, obwohl die verstorbene Person einverstanden gewesen wäre.
Länder wie Italien, Frankreich, England oder Holland kennen die Widerspruchsregel. Diese besagt, dass jede Person im Todesfall Organspender:in wird, sofern sie zu Lebzeiten nicht ihren Widerspruch geäussert hat. Weil Länder mit der Widerspruchsregel eine höhere Spendenrate aufweisen, verlangt die Volksinitiative «Organspende fördern – Leben retten» diesen Systemwechsel auch für die Schweiz.
Gegenvorschlag entlastet Angehörige
Die Widerspruchsregel kann man strikt anwenden, wie es die Volksinitiative fordert. Wer zu Lebzeiten nicht widerspricht, wird automatisch zur Organspenderin. Der Nationalrat hat sich in einem indirekten Gegenvorschlag klar für eine erweiterte Umsetzung der Widerspruchsregel entschieden: Wer nach seinem Tod keine Organe spenden möchte, soll dies neu festhalten müssen. Liegt kein dokumentierter Wille der verstorbenen Person vor, können die nächsten Angehörigen widersprechen.
Der Unterschied zur geltenden Regel liegt im Wesentlichen darin, die Angehörigen in einem ohnehin bereits sehr schwierigen Moment zu entlasten. Es gibt einen psychologischen Unterschied, ob ich als Hinterbliebene an Stelle der verstorbenen Person der Organentnahme aktiv zustimmen darf (Zustimmungsregel) oder gegen die zulässige Entnahme noch ein Veto einlegen kann (erweiterte Widerspruchsregel). Der Nationalrat zeigt mit diesem Gegenvorschlag einen Weg auf, der die Spendenrate erhöhen und Menschenleben retten kann sowie den Weg für den Rückzug der weitergehenden Volksinitiative ebnet. Das ist eine gute Nachricht für jede Person, die auf ein lebensrettendes Organ wartet.
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