Pfusch, Bschiss und ein Eigengoal

Votum im Nationalrat von Jacqueline Fehr, Nationalrätin ZH, Vizepräsidentin der SP Schweiz

Votum im Nationalrat von Jacqueline Fehr, Nationalrätin ZH, Vizepräsidentin der SP Schweiz
Die SVP-Familieninitiative erzählt die Geschichte vom Pfusch, der zusammen mit dem Bschiss ein Eigengoal schiesst.

Die Initiative ist ein Pfusch
Sie fordert eine Änderung von Art. 129 der Bundesverfassung und damit des Steuerharmonisierungsgesetzes. Den Kantonen soll vorgeschrieben werden, dass sie künftig keinen Abzug für familienergänzende Betreuung mehr gewähren dürfen, sondern nur noch einen solchen für alle Familien. Würde man meinen. Doch in der Kommission erklärten die Initianten plötzlich, dass sich ihre Forderung nur auf die Bundessteuern beziehe. Doch das würde Art. 128 der Bundesverfassung betreffen. Was gilt denn nun? Und was heisst selber betreuen. Auch jene Eltern, die familienergänzende Betreuung in Anspruch nehmen, betreuen ihre Kinder selber. Oft sogar mehr als jene, die sie sogenannt selber betreuen. Meint man mit selber betreuen eine gewisse Anzahl Stunden oder Betreuung zu gewissen Tageszeiten? Und wer ist eigentlich gemeint? Die Väter? Betreuen die ihre Kinder selber? Oder doch nur die Mütter? Ist es halt doch schlicht und einfach eine Mutter-an-den-Herd-Initiative? Oder wie es die FDP-Frauen-Präsidentin heute in der NZZ feststellt: Will die SVP hier Staatsmütter fördern?

Die Initiative ist ein Bschiss
Entweder begünstigt sie die Reichen und lässt den Mittelstand zahlen. Oder sie bestraft jene, die arbeiten und sich eigenverantwortlich um ein eigenes Einkommen und damit eine sichere Existenz kümmern. Wenn man zusätzlich für jene Familien einen Betreuungsabzug einführt, die ihre Kinder bisher unbezahlt betreuen oder betreuen lassen, kommt das einer banalen Erhöhung des heutigen Kinderabzugs gleich. Eine solche Erhöhung ist aber immer ein Bschiss für die mittleren und unteren Einkommen, weil sie von solchen Erhöhungen in Franken kaum etwas sehen, während die hohen Einkommen die hohle Hand machen können. Schafft man aber als Folge der SVP Initiative den jetzigen Betreuungsabzug ab, werden jene bestraft, die heute trotz Kindern erwerbstätig sind und damit dem Staat an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen deutlich mehr zurückgeben als sie an Unterstützung erhalten. Zahlreiche Studien haben diese Effekte ja längst nachgewiesen.

Sollten die Kantone diesen Abzug von rund 10’000 Franken zusätzlich für alle Familien einführen, würde diese Übung insgesamt für Bund und Kantone 1,4 Milliarden Franken pro Jahr kosten. Damit können sie jedes Jahr 10 Gripen kaufen. Oder die Familien tatsächlich entlasten und zwar über Kinderzulagen: Die SP fordert deshalb mit einer Parl. Initiative eine Erhöhung der Kinder- und Ausbildungszulagen um je 60 Franken pro Monat. Diese 720 Franken pro Jahr mehr pro Kind sind für mittlere und untere Einkommen ein Mehrfaches dessen, was diese Initiative den Familien bringt.

Die Initiative ist aber nicht nur ein Pfusch und ein Bschiss, sondern vor allem auch ein Eigengoal
ie will jene Paare bestrafen, bei denen beide Elternteile erwerbstätig sind. Nehmen wir zwei Familien. In der Familie Sutter geht der Mann arbeiten, die Frau ist bei den Kindern, die Familie verdient 150’000 Franken. Die Familie Weber verdient auch 150’000 Franken. Doch um dieses Einkommen zu erzielen, müssen beide Arbeiten gehen. Er 100 Prozent und sie 60 Prozent. Um in diesem Umfang erwerbstätig zu sein, sind sie für ihre beiden Kinder an drei Tagen pro Woche auf Kinderbetreuung angewiesen. Dafür zahlen sie pro Jahr rund 30’000 Franken. Ihnen bleiben also nur noch 120’000 Franken. Dies obwohl sie gemeinsam 160 Prozent arbeiten, im Unterschied zur Familie Suter, bei denen nur der Mann erwerbstätig ist. Die Familie Suter mit 100 Prozent Erwerbstätigkeit, 0 Franken Kinderbetreuungskosten ist wirtschaftlich leistungsfähiger, weil sie die ganzen 150’000 Franken zur Verfügung hat. Familie Weber hingegen hat – obwohl sie 160 Prozent arbeitet – unter dem Strich nur 120’000 Franken Einkommen, weil sie 30’000 Franken für die Kinderbetreuung ausgeben muss. Von diesen 30’000 Franken kann sie seit zwei Jahren 10’000 abziehen und genau das soll sie nach Meinung der SVP nicht mehr tun können.

Die Bestrafung der Familien, die auf zwei Einkommen angewiesen sind, ist ein unglaublicher Affront. Sie ist aber auch verantwortungslos. Wer heute jungen Frauen rät, den Beruf aufzugeben, wenn sie Mutter werden, soll einmal einen Blick in die Armutsstatistik werfen. Wir wissen, dass jede zweite Ehe geschieden wird und dass der Weg von der verheirateten, nicht berufstätigen Mutter zur geschiedenen, alleinerziehenden Mutter in der Regel direkt zum Sozialamt führt. Das passiert Zehntausenden desillusionierten Frauen Jahr für Jahr. Und drittens ist dieser Anreiz, den Beruf aufzugeben, kurzsichtig. Wenn sich als Folge dieser Initiative wieder mehr Frauen aus dem Erwerbsleben zurückziehen würden, müssten wir sie ersetzen und zwar in der Regel durch Fachkräfte aus dem Ausland. Für praktisch jede Pflegefachfrau, die aussteigt, weil sich für die Erwerbsarbeit nicht mehr lohnt, weil sie für die Kinderbetreuung und die zusätzliche Steuern fast so viel aufwenden müssen, wie sie zusätzlich verdienen, müssen wir jemanden im Ausland suchen.

Vielleicht müsste man der Initiative einfach einen ehrlicheren Titel geben: Die SVP Initiative für mehr Zuwanderung.  

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