Der Bund hat die öffentliche Aufgabe der Durchführung der Krankengrundversicherung privaten Anbietern delegiert. Dieses Wirken im geschützten Bereich zieht für die interessierten Versicherer auch gewisse Verpflichtungen nach sich, wie sie für fast alle Tätigkeiten behördlicher Art gelten. Unter dem durchaus kassenfreundlichen FDP-Bundesrat Pascal Couchepin wurden so im Jahr 2008 Rechtsregeln zur Anwendung der behördlichen Verpflichtung zur politischen Ausgewogenheit im Bereich der Krankenversicherung erlassen. Heute zeigt sich: Die grosse Mehrheit der Versicherer begeht am laufenden Band offene Zuwiderhandlungen gegen diese Regeln und verschleudert illegal Millionen von privaten und öffentlichen Prämiengeldern für oft lügenhafte Propaganda gegen die Interessen einer Mehrheit der Versicherten. Dass sich Institutionen des öffentlichen Interesses, in deren Verwaltungsräten immer mehr (bürgerliche) ParlamentarierInnen gut bezahlt sitzen, derart systematisch und straflos um das Gesetz foutieren, darf in einem Rechtsstaat nicht sein. Die Klagen verärgerter BürgerInnen und von Konsumentenorganisationen, über die das Bundesgericht noch vor der Abstimmung zu entscheiden hat, sollen dem illegalen Treiben der Kassen ein Ende bereiten.
Freie Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger nicht mehr gewährleistet
Die bestehenden gesetzlichen Regeln zur Unterscheidung zwischen ausgeglichener Information und verbotener Propaganda beruhen im Wesentlichen auf zwei Überlegungen zum öffentlichen Interesse:
- Die Bundesverfassung garantiert das Recht der freien Meinungsbildung, was gemäss gängiger Praxis des Bundesgerichtes Beeinflussungsversuche durch Behörden oder behördenähnliche Institutionen ausschliesst.
- Das Krankenversicherungsgesetz sieht vor, dass die Prämien für die Grundversicherung im Interesse der Versicherten zielgerecht verwendet müssen, was politische Propaganda klar ausschliesst.
Da letzteres mangels transparenter Finanzflüsse zwischen Grund- und Zusatzversicherung kaum nachgeprüft werden kann, steht vor allem die Frage der für unsere Demokratie wichtigen freien Meinungsbildung im Vordergrund. Die Grundlagen für die dazu notwendigen Regelungen liefert ein Gutachten des Bundesamtes für Justiz aus der Ära Blocher, das zu den geltenden Regeln geführt hat. Diese besagen insbesondere, dass:
- Versicherer bei der Führung der öffentlichen Krankenversicherung wie Behörden handeln und sich deshalb im Vorfeld von Abstimmungen politisch neutral zu verhalten haben,
- das Zurückhaltungsprinzip auch bei besonderer Betroffenheit gilt,
- auch eine Finanzierung von Abstimmungspropaganda über Zusatzversicherungsgelder wegen der fehlenden Differenzierungsmöglichkeit nicht zulässig ist,
- alle diese Grundsätze auch für die Dachverbände gelten.
Da die meisten Versicherer diese Grundsätze systematisch und grob verletzen, ist die freie Meinungsbildung gemäss bundesgerichtlicher Praxis und bundesrätlicher Auslegung in unserem Land zur Frage der öffentlichen Krankenkasse offensichtlich nicht mehr möglich. Da sich die Kantonsregierungen nicht für nationale Abstimmungen zuständig fühlen, liegt es nun am Bundesgericht, die Stimmrechtsbeschwerden besorgter BürgerInnen oder Organisationen möglichst rasch zu behandeln und die Kassen zur Unterlassung illegaler Handlungen sowie dort zu kompensierenden Massnahmen zu verpflichten, wo bereits Zuwiderhandlungen begangen wurden – zum Beispiel mittels kompensatorischer Inhalte in geplanten Publikationen vor der Abstimmung oder wenn nötig durch zusätzliche, kompensierende Publikationen.