Nizza, Würzburg, Ansbach, München, Kabul, Saint-Étienne-de-Rouvray oder auch Orlando, Japan und Aleppo: Die Aufzählung ist weder chronologisch, noch abschliessend. In den vergangenen Wochen wusste man kaum, wohin zu schauen, ohne Grauen zu erblicken. Bei vielen nimmt die Verunsicherung zu. Die Befürchtung: Mit Ansbach, Würzburg und Saint-Étienne-de-Rouvray habe der Terror endgültig auch das Hinterland erreicht – und damit potenziell alle. Doch Achtung: Wenn offene, demokratische Gesellschaften die Verunsicherung zulassen, sind die mordenden Attentäter auf dem besten Weg dazu, postum zu gewinnen.
Ich war in den vergangenen Wochen in Frankreich und habe die Berichterstattung zu Nizza und Saint-Étienne-de-Rouvray verfolgt. Was mir auffiel: Die Migrationsdebatte, die in Deutschland und bei uns mit teilweise nationalistischer, fehlgeleiteter Inbrunst geführt wird, fehlte dort beinahe komplett – Kolonialerbe oblige. Bemerkenswert bleibt es trotzdem. Denn die Folge war eine breite gesellschaftliche Diskussion in Frankreich. Und zwar beileibe nicht nur bei Intellektuellen oder Schriftstellerinnen, sondern auch in der Bevölkerung.
Das wirkte in diesen angespannten Tagen beruhigend – im Gegensatz zu den eher dümmlichen Äusserungen von französischen Spitzenpolitikern, denen die Bewirtschaftung von Unsicherheit und Empörung näher lag als besonnene Reaktionen. Höhepunkt bisher war die Forderung nach einem Guantanamo für Frankreich. Sie alle sind in die Falle des IS getappt, der genau diese Spaltung der Gesellschaften per Mord inszeniert – gegen andere Muslime gerne auch beim Freitagsgebet in der Moschee.
Umso bemerkenswerter war in Frankreich das Zusammenstehen der Religionen nach dem gottlosen Mord an einem Priester. Dass der Französische Rat der Muslime seine Mitglieder dazu aufgerufen hat, an den Gedenkgottesdiensten teilzunehmen, ist ein starkes Signal für den Zusammenhalt in der Bevölkerung, ebenso die Weigerung, die toten Attentäter auf einem muslimischen Friedhof zu bestatten. Eine schlechte Nachricht für die Verblendeten und Irren, die ihren Tod suchen und auf diesem Weg möglichst viele mitnehmen wollen. Oder wie es ein Wirt in einer Bar sagte: «Ah, Madame, avant tout, c’est des salauds» – in erster Linie sind es Schweinehunde. Ähnlich hat offenbar in München ein Baggerführer reagiert: Als der dortige Attentäter mit seinen rechtsradikalen Sympathien Wert darauf legte, Deutscher zu sein, ist umgehend die deutliche Antwort gekommen: «Ein Arschloch bist Du!»
In Frankreich glaubt wohl nur noch Präsident Hollande, dass man mit Hochsicherheitsmassnahmen alles verhindern kann. Die Bevölkerung ist da realistischer. Sie hat verstanden, was es mit dem Label-Terror des IS auf sich hat: Es ist ansteckend für junge Männer mit Psycho- Problemen. Was dieses System noch hinterhältiger und perfider macht, als es ohnehin schon ist. Sie erreichen per Knopfdruck maximale Aufmerksamkeit für ihren inszenierten Selbstmord, was ihr vorrangiges psychologisches Ziel ist. Einzige Bedingung, um vom IS postum durch Bekennerbotschaft gelabelt zu werden, ist das Hochladen eines IS-Emblems auf Handy oder Laptop vor der Inszenierung des mörderischen Selbstmord. Je grösser die Aufmerksamkeit ist, desto mehr Nachahmer werden produziert. Früher nannte man das den Werther-Effekt. Je hysterischer die Politik reagiert, desto besser läuft das grausame perpetuum mobile des IS. Was wiederum den Populisten aller Lager in die Hände spielt. Und die gefühlte Macht des an sich geschwächten IS stärkt.
In den französischen Medien wurde die eigene Rolle in den vergangenen Tagen ebenso ausführlich diskutiert wie die Frage nach der Bedeutung, die Religionen beim Terrorismus zukommt (nie haben sich Katholiken für die IRA-Anschläge entschuldigen müssen).
Wie also reagieren? Gute, auch internationale Koordination der staatlichen Sicherheitsmassnahmen, Verstärkung der Integrations- und Präventionsmassnahmen und öffentliche Gelassenheit. Auch wenn es schwierig ist, nur so kommen wir aus der IS-Falle raus.