Im Juni haben wir als privat reisende ParlamentarierInnengruppe die Ko-BürgermeisterIn Gültan Kisanak und Firat Anli in Diyarbakir besucht. In einem eindrücklichen Gespräch haben sie uns die Situation in Diyarbakir geschildert: Abgesperrte Quartiere in der Innenstadt, Enteignung von Häusern und Abbruch ganzer Stadtteile, Repression gegen Junge, weil immer der Verdacht erhoben wird, sie könnten zur PKK gehören, Stopp der regulären Geldflüsse aus Ankara an die Provinz. Über ihre persönliche Situation machten sie sich keine Illusion. Sie wussten, dass sie unter Beobachtung standen.
Bereits seit Juni 2015, nachdem die links-kurdische Partei HDP in das nationale Parlament eingezogen war, sind zahlreiche ihrer Kolleginnen und Kollegen in anderen kurdischen Städten und Dörfern des Amts enthoben worden und teileweise auch verhaftet worden. Nach dem Putschversuch im letzten Juli hat sich die Situation nochmals deutlich verschärft und von den «Säuberungen» sind nun auch weitere Bevölkerungsgruppen betroffen. Statt der gewählten PolitikerInnen setzt Ankara regierungstreue Statthalter ein. Damit ist das Ende der pluralistischen Gesellschaft angesagt, wie sie in den kurdischen Städten, allen voran in Diyarbakir, gelebt wird.
Jetzt sind mit Gültan Kisanak und Firat Ali die beiden prominentesten Personen aus dem Bürgermeisteramt geworfen und verhaftet worden. Erst vor 2 Wochen haben sie Zürich besucht, weil die beiden Städte ein «Brückenschlag», d.h. eine Stadt-Partnerschaft verbindet. Der dramatischen Verletzung grundlegender rechtsstaatlicher und menschenrechtlicher Verpflichtungen in der Türkei kann nicht länger einfach zugeschaut werden. Die Schweiz muss aktiv werden und sich auf diplomatischer und politischer Ebene einschalten. Hochrangige Vertreter der Schweiz müssen zusammen mit dem IKRK Gültan Kisanak und Firat Ali im Gefängnis besuchen. Darüber hinaus soll der Bundesrat aktiv werden, damit auch VertreterInnen von internationalen Organisationen wie Europarat, OSZE, IPU oder andere Gültan Kisanak und Firat Ali besuchen und für deren rasche Entlassung sorgen können. Der Bundesrat muss alles tun, damit die Türkei die von ihr anerkannten grundlegenden Prinzipien des Europarates nicht weiter verletzt, sondern vielmehr ein säkularer Rechtsstaat bleibt, die bürgerlichen Freiheits- und Minderheitenrechte achtet und nicht in einen nationalistischen, religiösen Staat mit einem repressiven Präsidialsystem abdriftet. Der Bundesrat muss den politischen Dialog mit der Türkei intensivieren und im Europarat und UNO-Menschenrechtsrat aktiv werden.