Schon gelesen?

Viele politisch interessierten Menschen lesen viel. Doch welche Bücher bewegen wirklich und machen besonders Freude? Leser:innen haben buchstäblich die Qual der Wahl. Die Links-Redaktion hat sich darum im Zentralsekretariat der SP umgehört und für Weihnachten die besten Lese-Empfehlungen der Kolleg:innen zusammengestellt.

Die Folgen des Patriarchats

Klappentext: Die Mitdreissigerin Kim Jiyoung hat kürzlich ihren Job aufgegeben, um sich um ihr Baby zu kümmern, wie es von koreanischen Frauen erwartet wird. Doch schon bald zeigt sie seltsame Symptome: Ihre Persönlichkeit scheint sich aufzuspalten, denn sie schlüpft in die Rollen anderer Frauen. Als sich die Psychose verschlimmert, schickt sie ihr Ehemann zu einem Psychiater. Nüchtern zeichnet dieser ihr Leben nach, das bestimmt ist von Frustration und Unterwerfung. Dabei wird ihr Alltag stets von männlichen Figuren überwacht – von Primarschullehrern, Arbeitskollegen oder auch vom Vater. Und in den Augen ihres Mannes ist es ihre Pflicht, die Karriere aufzugeben, um sich um ihn und das Kind zu kümmern.

Lese-Empfehlung von Lena Allenspach, Mediensprecherin: 
Cho Nam-Joo nimmt uns mit in den Alltag einer Frau in Südkorea, der gezeichnet ist von Sexismus im Alltag, patriarchalen Strukturen und zunehmender sozialer Ungleichheit. In Südkorea, der zehntgrössten Volkswirtschaft der Welt, verdienen Frauen 31 Prozent weniger als Männer. Es erstaunt kaum, dass dieses Buch zu einem zentralen Text der feministischen Bewegung Südkoreas wurde, denn fast jede Frau wird sich in der Lebensgeschichte von Kim Jiyoung wiederfinden. Oder wie es «Die Zeit» schrieb: «Wieso wurde Jiyoung in den Wahn getrieben? Die Antwort: Weil sie eine Frau in einer patriarchalen Gesellschaft ist.» Wer wie ich das Buch verschlingt, darf sich freuen: Der zweite Roman «Miss Kim weiss Bescheid» liegt bereits auf Deutsch vor und gibt in herzzerreissenden Kurzgeschichten Einblick in das Leben von acht Südkoreanerinnen aus verschiedenen Generationen, deren Schicksale eine grundlegende Gemeinsamkeit aufweisen: Sie alle leiden unter den patriarchalen Strukturen ihres Landes und ihrer Kultur.

Über Leben und Tod

Klappentext: Wie Mutter und Tochter leben Bonaria Urrai und Maria in einem sardischen Dorf zusammen. Die Schneiderin zieht das Mädchen gross, dafür wird Maria sich im Alter um sie kümmern. Als vierte Tochter einer bitterarmen Witwe ist Maria daran gewöhnt, «die Letzte» zu sein. Nun hat sie ein eigenes Zimmer in einem grossen Haus, wo alle Türen offenstehen. Doch ein Geheimnis umweht die wortkarge Frau, die nachts, wenn Maria schlafen soll, Besuch erhält und dann das Haus verlässt. Es scheint, als würde Bonaria in zwei Welten leben. Die junge Frau spürt, dass sie nicht danach fragen darf.

Lese-Empfehlung von Gina La Mantia, SP Bildung: 

Der assistierte Suizid ist heftig umstritten und eine jener gesellschaftlich-politischen Fragen, die ich nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantworten kann. Immens wichtig, ein selbstbestimmtes Sterben zu ermöglichen, Schmerzen und Leid beenden zu können. Ebenso wichtig, den assistierten Suizid niemals jemandem subtil aufzuzwingen, weil Palliativpflege aufwendig, schwierig und teuer ist.
Dass es im katholischen Süden Italiens bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts die archaische Figur der «Accabadora» gab, die todkranke Menschen von ihrem Leid erlöste, erstaunt und fasziniert mich sehr. Bonaria Urrai ist sardische Schneiderin, Accabadora und liebevolle Adoptivmutter. Sie möchte zwar ihr Wissen um Leben und Tod an Maria weitergeben, hält es aber zu lange vor ihr geheim. Die vertrauensvolle Beziehung endet brüsk, Maria geht weg und kehrt erst zurück, als es gilt, die todkranke, schwer leidende Adoptivmutter zu pflegen. Auch sie muss nun entscheiden: Ist es richtig, einem leidenden Menschen zu einem schnelleren Tod zu verhelfen?

Wenn man ein bisschen Zeit hat

Klappentext: Zeit ist die zentrale Ressource unserer Gesellschaft. Doch sie steht nicht allen gleichermassen zur Verfügung. Teresa Bücker, eine der einflussreichsten Journalistinnen in Deutschland, macht konkrete Vorschläge, wie eine neue Zeitkultur aussehen kann, die für mehr Gerechtigkeit, Lebensqualität und gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgt.

Lese-Empfehlung von Julia Baumgartner, Zentralsekretärin SP Frauen Schweiz

Überstunden, Deadlines und keine Zeit, um den Grossvater zu besuchen: Wir sind tagtäglich mit Zeitknappheit konfrontiert. Teresa Bücker erklärt mit Zahlen und Fakten, dass Zeitnot ein strukturelles Problem ist. Die Zahlen schrecken auf: So verbringen die Erwerbstätigen in Deutschland beispielsweise dreieinhalb Jahre zusätzlich in ihrem Beruf, wenn man die durchschnittliche Überstundenanzahl eines Jahres auf ein Erwerbsleben hochrechnet. Dies hat auch gesundheitliche Auswirkungen, beispielsweise ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle und Herzinfarkte. Teresa Bücker zeigt deutlich auf, dass wir bei der Diskussion rund um Zeitnutzung und -verteilung anerkennen müssen, dass Zeit sehr ungleichmässig verteilt ist und an Klasse, Herkunft und Geschlecht gekoppelt ist. Wenn wir uns für soziale Gerechtigkeit einsetzen, müssen wir uns also unbedingt auch für eine gerechte Verteilung von Zeit stark machen. Sehr empfehlenswertes Buch (wenn man bisschen Zeit hat) – und danach ist man umso überzeugter, dass eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit zwingend nötig ist!

Hoffnung in der Klimakrise

Klappentext: Indien, 2025. Das Land wird von einer gnadenlosen Hitzewelle heimgesucht, die Temperaturen erreichen mancherorts über 50 Grad. Hunderttausende Menschen sterben, es werden ganze Stadtviertel ausgelöscht. Zu den Überlebenden gehört der Entwicklungshelfer Frank May. Schwer traumatisiert zieht er in die Schweiz, um mit jenen abzurechnen, die seiner Meinung nach mitverantwortlich sind: Das Ministerium für die Zukunft, dessen Aufgabe es eigentlich ist, solche Katastrophen zu verhindern. In Mary Murphy, der Vorsitzenden des Ministeriums, findet Frank unerwartet eine Verbündete, die wie er gegen den Klimawandel kämpft, wenn auch mit anderen Mitteln.

Lese-Empfehlung von Lewin Lempert, Kampagnenleiter

Trotz düsteren Klima-Szenarien schafft es Kim Stanley Robinson in seinem Buch, eine Perspektive der Hoffnung zu entwickeln. Er zeigt auf, wie die Menschheit dank kollektiver Anstrengung und globalem Handeln eine Begrenzung der Erderwärmung doch noch schaffen kann – und webt die wissenschaftlich fundierten Strategien zur Bewältigung der Klimakrise in eine fiktive, äusserst lesenswerte Geschichte ein. Kein Wunder, hat Barack Obama das Buch  als eines der wichtigsten Bücher der letzten Jahre empfohlen. Wer sich für Klimathemen interessiert und offen für das Genre «Climate Fiction» ist, sollte sich das Buch unbedingt besorgen. Wer weiss, ob die Lösungsansätze des Autors Wirklichkeit werden – zu hoffen ist es auf jeden Fall!

Vom Bauchgefühl zu Fakten

Klappentext: Seit Jahrzehnten hören wir: EEntwicklung hilft: Die südlichen Länder der Welt schliessen zum reichen Norden auf, die Armut hat sich in den vergangenen 30 Jahren halbiert, bis zum Jahr 2030 ist sie verschwunden. Das ist eine tröstliche Geschichte, die von Politik und Wirtschaft gerne bestätigt wird. Aber sie ist nicht wahr. In Wirklichkeit hat sich die Einkommenslücke zwischen Nord und Süd seit 1960 verdreifacht, 60 Prozent der Weltbevölkerung verdienen weniger als 4,20 Euro am Tag. Armut ist kein Naturphänomen, sie wird gemacht.

Lese-Empfehlung von Lea Trogrlic, Kampagnenleiterin

Mein absolutes Lieblingsbuch stammt von Jason Hickel, Professor an der London School of Economics. Der Autor erklärt verständlich, was zu den heutigen weltweiten Ungleichheiten geführt hat und wie diese heute systematisch durch Handelsstrukturen und andere Faktoren aufrechterhalten werden. Obwohl ich das Buch vor längerem gelesen habe, ist es für mich immer noch eine Inspirationsquelle, weil es mir konkrete Argumente gegeben hat, die Welt zu erklären– der Übergang vom Bauchgefühl zu konkreten, rationalen Argumenten. Besonders beeindruckend sind die verschiedenen Indikatoren für Armutsmessung, die dazu dienen, unser System der Unterdrückung zu stützen: Ein Mensch zählt beispielsweise erst dann als unterernährt, wenn er ein ganzes Jahr lang zu wenig zu essen hat. Insgesamt hat mir das Buch eine andere und sehr menschliche Perspektive auf das Leben eröffnet.

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