Die europapolitische Verwirrung ist gross in unserem Land. Das hat man bei der Genehmigung des Kroatien-Protokolls im Parlament deutlich gemerkt. Beim Kroatien-Protokoll ging es einzig darum, ob die Schweiz das bestehende Freizügigkeitsabkommen mit 27 EU-Staaten auch auf den 28. EU-Mitgliedsstaat Kroatien ausdehnen will. Eine einfache Frage wurde wie eine heisse Kartoffel herumgereicht. Auch der Bundesrat half mit seiner bisherigen Arbeit nur wenig, denn er verpasst es seit Monaten, die einfache Schweiz-EU-Geschichte zu erzählen und weiter zu entwickeln. Der Bundesrat wägt ab, mutmasst und zögert – aber er schreibt kaum ein Kapitel an der Bilateralismus-Geschichte. Dass die Bundesversammlung in der Sommersession nun eine klare Bedingung bei der Ratifikationsbestimmung zum Kroatienprotokoll setzte, war klare Weisung an unsere Regierung und hat nichts mit Hochrisiko zu tun: Arbeitnehmende, Studierende, Forschende und Arbeitgeber brauchen endlich wieder Rechtssicherheit.
Im Verhältnis Schweiz-EU entscheidet immer der Souverän
Mehrmals haben die Stimmberechtigten ja gesagt, dass die Schweiz ihr Verhältnis mit der EU in bilateralen Verträgen regeln solle. Diese Verträge wurden ausgehandelt, unterzeichnet und wir wollen sie einhalten. Das ist das Rechtsverständnis in der Schweiz. Verträge werden eingehalten, weil sie zur Rechtsordnung unseres Landes gehören. So ist das auch mit dem Vertrag über die Personenfreizügigkeit: Er wurde ausgehandelt, unterschrieben und in der Volksabstimmung im Februar 2009 als unbefristetes Vertragswerk zwischen der Schweiz und der EU genehmigt. Im Jahre 2014 hat dann das gleiche Volk verlangt, dass man das bestehende Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU neu verhandeln solle und es im Sinne der mehrheitlichen Weltsicht anpassen müsse. Eigenständige Kontingente und eigenständige Zuwanderungs-Höchstzahlen sollten in das Vertragswerk eingebaut werden. Heute wissen alle, das ist ein fast unlösbarer Konflikt in unserer Rechtsordnung. Die Antwort kam denn auch schnell und deutlich: Nein, der Kern dieses Vertragswerks lässt sich nicht mit eidgenössischen Höchstzahlen und eidgenössischen Kontingenten nachverhandeln, weil auch kein EU-Staat diese Einschränkung einseitig beanspruchen kann. Dies hätte nichts mehr mit gegenseitiger Freizügigkeit zu tun. Die Schweiz kann als Nicht-Mitglied entweder die volle Freizügigkeit nutzen, oder sie kann es bleiben lassen. Mit allen Konsequenzen.
Die Schweiz kann als Nicht-Mitglied entweder die volle Freizügigkeit nutzen, oder sie kann es bleiben lassen. Mit allen Konsequenzen.
Damit ist klar, es wird über kurz oder lang eine weitere Volksabstimmung geben, ob wir dieses bilaterale Vertragswerk der Freizügigkeit beibehalten wollen oder ob wir es nach wenigen Jahren wieder aufheben und bei Null beginnen. Zurückfallen auf Feld Null wäre für den Wirtschaftsstandort Schweiz eine Katastrophe.
SVP will den Bruch – die anderen Parteien wollen Rechtssicherheit
Der Bundesrat hat sich im Hinblick auf diese absehbare Volksabstimmung ein bisschen auf das Durchwursteln eingestellt und versäumte es zu sagen, dass die Neuverhandlung des Freizügigkeitsabkommens in einer engen Frist nicht möglich sei. Darum musste nun die Bundesversammlung Klartext reden: Wir wollen die Personenfreizügigkeit mit allen 28 EU-Staaten, aber wir wollen auch, dass das Durchwursteln ein Ende hat. Der Bundesrat muss nun rasch eine Lösung präsentieren, wie beim Verhältnis Freizügigkeitsabkommen und Bundesverfassung wieder eine Basis gefunden wird, damit Rechtssicherheit besteht. Rechtssicherheit für den Forschungsplatz Schweiz, Rechtssicherheit für den internationalen Studentenaustausch und Rechtssicherheit für langfristige und sichere Arbeitsplätze in der Schweiz. Das bekommt man nur, wenn bis Ende dieses Jahres eine Lösung auf dem Tisch liegt. Und wahrscheinlich gibt es die rechtlich gute Lösung nur mit einer Verfassungsänderung. Und dann gibt es wieder eine Volksabstimmung über das Verhältnis Schweiz – EU. Mit Volksabstimmungen wird Geschichte geschrieben, nicht mit abwägen und zögern.
Darum musste nun die Bundesversammlung Klartext reden: Wir wollen die Personenfreizügigkeit mit allen 28 EU-Staaten, aber wir wollen auch, dass das Durchwursteln ein Ende hat.
Geklärt hat die Kroatien-Debatte auch, was wir (eigentlich) schon immer wussten: Mit der SVP lässt sich keine Lösung finden, denn sie lehnte die Genehmigung des Kroatienprotokolls ab. Sie will keine Rechtssicherheit in dieser Frage. Die SVP will den Bruch im Verhältnis mit der EU. Es geht ihr nur um den Bruch, um den Knall – Lösungssuche kennt sie nicht.
Text publiziert in der Basellandschaftlichen Zeitung vom 21. Juni 2016