See- und Kriegsspiele: Besuch der „alten Fakten“?

Philipp Hadorn, Nationalrat SO

Philipp Hadorn, Nationalrat SO
Ein milder Spätsommerabend. In wenigen Minuten beginnt das Musical. Die Reihen am Thunersee füllen sich zu Friedrich Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“. Dann um 19:56 die Meldung auf meinem Mobiltelefon: Der US-Präsident Barack Obama habe sich für einen Militärschlag gegen Syrien entschieden.

Ich erinnere mich zurück an den 16. Januar 1991. Nachts die Radiomeldung, legitimiert durch die Resolution 678 des Sicherheitsrates vom Vortag sei der Entscheid zum Irak-Krieg erfolgt.

Ein Jahrzehnt später hiess es, der Besitz von Massenvernichtungswaffen durch Saddam Hussein rechtfertige einen erneuten militärischen Angriff. Wider besseres Wissen wurde eine Grundlage konstruiert, um einen Krieg zu rechtfertigen. Unzählige Menschen aus der Zivilbevölkerung verloren ihr Hab und Gut, zahlreiche ihr Leben. Der endlose Krieg war nicht zu gewinnen. Die Auswirkungen für Kinder, Mütter und Gebrechliche katastrophal. Eine ganze Generation verlor ihre Jugend.

Zurück zum Thunersee: Die Dorfbewohner von „Güllen“, Dürrenmatts Schweizer Dorf, werden auf der Seebühne vorgestellt, deren marode Finanzen und eine Geschichte kollektiven Unrechts dargestellt. Claire, das früher verstossene Kläri mit ausserehelicher Schwangerschaft, kommt als Milliardärin zurück. Falschaussagen und Meineide verhinderten die Anerkennung der Vaterschaft ihres Jugendfreundes Alfred. Damit war auch der Tod des Kindes unausweichlich geworden. Als Prostituierte innerhalb und ausserhalb von Ehen kam die tief verletzte Claire später zu einem enormen Vermögen. Als Grossinvestorin hat sie nun Güllens Industrie und Ländereien aufgekauft … und in den Ruin getrieben. Mit der Waffe „Kapital“ will sie Gerechtigkeit kaufen. Das Flehen nach Vergebung bleibt unerhört. Als Folge werden alle Güllener erneut zu Mördern.

Derweil weckt Obamas Kriegs(vor)entscheid Erinnerungen an die Golfkriege. Die Briten vertrauen den Geheimdiensten und eigenen Verbündeten nicht mehr. Das Unrechtsystem des syrischen Diktators Baschar al-Assad ist offensichtlich. Trotzdem straft die Geschichte die Hoffnung auf einen gerechten Krieg Lüge.

Im Nachhinein folgt meist die Ernüchterung, in der Realität wie auf der Bühne: Angeblich wissenschaftliche Beweise von Husseins Waffen waren gefälscht, juristische Vorwürfe an Kläri erlogen. Die Folge: alle landeten im Teufelskreis von Rache, Unrecht und Geldgier.

Eine Kriegsmaschinerie auf Syrien niederprasseln zu lassen, dient kaum der Einführung demokratischer Strukturen und langfristigem Frieden mit Freiheit. Es ist eine Illusion, im Konfliktfall schnelle Lösungen auf die „harte Tour“ durchsetzen zu können. Ethische Massstäbe gilt es auch vor einer akuten Krise zu leben. So wie es bei einem Handelsabkommen während friedlichen Zeiten gilt, ethische Standards durchzusetzen, Menschenrechte zu garantieren.

Wir brauchen dringend ein Umdenken, damit Entwicklung persönlich, gesellschaftlich und wirtschaftlich möglich wird. Die Option „Vergebung“ soll nirgends ausgeblendet werden, aber die Chancen der Gegenwart müssen aktiv genutzt werden – auch die nächsten 125 Jahre!

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