Medienmitteilung der SP Frauen vom 18. Februar 2022
Nach langem Warten hat die Rechtskommission des Ständerats (RK-S) ihren Gesetzesentwurf zur Reform des Sexualstrafrechts präsentiert. Für die SP Frauen ist die Bilanz durchzogen. Der Entwurf enthält gegenüber der aktuellen Gesetzeslage und dem ersten Revisionsvorschlag einige bedeutende Verbesserungen. Dennoch weist die von der Mehrheit unterstützte «Nein heisst Nein»-Lösung grössere Mängel auf. Nur eine Vergewaltigungsdefinition nach dem Grundsatz «Nur Ja heisst Ja» kann die sexuelle Selbstbestimmung effektiv schützen.
«Erfreulich ist, dass die ‘Nur Ja heisst Ja’-Lösung mit dem Minderheitsantrag politisch erstmals ernsthaft zur Diskussion steht und die Definition von Vergewaltigung nun nicht mehr geschlechtsspezifisch ist», erklärt Tamara Funiciello, Co-Präsidentin SP Frauen, SP-Nationalrätin und Mitglied der nationalrätlichen Rechtskommission (RK-N). «Wir sind aber enttäuscht, dass sich die Kommissionsmehrheit für eine ‘Nein heisst Nein’-Lösung ausgesprochen hat, obwohl in der Vernehmlassung über 10’000 Personen, diverse Organisationen und Kantone eine ‘Nur Ja heisst Ja’-Lösung gefordert haben.» Nur mit einer «Nur Ja heisst Ja»-Lösung könnte die Schweiz die Vorgaben aus Art. 36 der Istanbul-Konvention vollständig erfüllen.
Auch eine «Nein heisst Nein»-Lösung wäre ein gewisser Fortschritt gegenüber der aktuellen Gesetzeslage, insbesondere weil Zwang und Gewalt nicht mehr zwingende Voraussetzungen für das Anerkennen einer Vergewaltigung darstellt – sondern die explizite Ablehnung neu die Voraussetzung ist. Mit der Qualifikation des Tatbestandes im Falle von Zwang und Gewalt wird den Opfern allerdings signalisiert, dass das Übergehen eines «Nein» nicht besonders gravierend ist. «Bereits das Fehlen einer Zustimmung und insbesondere das Übergehen eines ‘Nein’ sind gravierend», sagt Tamara Funiciello. «Es gibt keinen Grund, im Voraus bei der Vergewaltigung eine Qualifikation zu definieren. Die RK-S sendet hier widersprüchliche Signale.»
Einzig eine Vergewaltigungsdefinition nach dem Grundsatz «Nur Ja heisst Ja» respektiert die Selbstbestimmung der Betroffenen und umfasst auch Fälle, in denen Opfer, aus unterschiedlichen Gründen nicht «Nein» sagen konnten, beispielsweise wenn sie sich in einem Schockzustand befinden. «Aktuell ist unser Sexualstrafrecht geprägt von schädlichen Vergewaltigungsmythen», ergänzt Tamara Funiciello. «Einer dieser Mythen ist, dass die betroffene Person den Übergriff hätte verhindern können, wenn sie sich nur genügend wehrt. Dies wird mit einer ‘Nein heisst Nein’-Lösung weiterhin impliziert.»
Der Ständerat wird den Gesetzesentwurf in der Sommersession 2022 erstmals diskutieren. Die SP Frauen appellieren an die Ständerät:innen, dass sie mit Vergewaltigungsmythen aufräumen und einen zeitgemässen, fortschrittlichen Gesetzesentwurf verabschieden. Nur ein Sexualstrafrecht, das jede sexuelle Handlung ohne Zustimmung als Vergewaltigung anerkennt, schützt die sexuelle Selbstbestimmung effektiv und wird der Realität sexualisierter Gewalt gerecht.