Schulterschluss für eine starke Sozialhilfe: Die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren SODK, der Schweizerische Städteverband, das Schweizerische Rote Kreuz, die Schweizerische gemeinnützige Gesellschaft SGG und weitere Fachorganisationen haben gemeinsam die «Charta Sozialhilfe Schweiz» lanciert. Die Organisationen bekennen sich damit zur Sozialhilfe und zur föderalen Zusammenarbeit. Die Sozialhilfe ist für die beteiligten Organisationen ein zentrales Element zur Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung und ein entscheidender Faktor für die gesellschaftliche Stabilität. Die Charta steht weiteren Organisationen und Einzelpersonen zur Unterzeichnung offen.
Ein zentrales Anliegen der Charta ist darüber hinaus, die Diskussion um die Weiterentwicklung der Sozialhilfe faktenbasiert zu führen und zu versachlichen. Als Trägerinnen und Träger der Sozialhilfe vereinigen die initiierenden Institutionen viel Erfahrung und ein grosses Wissen zum letzten Netz unseres sozialen Sicherungssystems. Aufgrund von Erfahrungen, Erhebungen und Erkenntnissen aus der städtischen Praxis können die Wirkung, die Herausforderungen und der Wert der Sozialhilfe mit folgenden fünf Aussagen zusammengefasst werden:
Sozialhilfe wirkt
Die Sozialhilfequote ist seit vielen Jahren stabil. Entgegen der Wahrnehmung, die man aufgrund der öffentlichen und medialen Diskussion haben könnte. So lag Sozialhilfequote in der Schweiz 2017 bei 3,3 %. Exakt gleich hoch wie 2006. Und das, obwohl sowohl die Invalidenversicherung und die Arbeitslosenversicherung in diesem Zeitraum ihre Leistungen gekürzt und den Zugang erschwert haben, was den Druck und die Verlagerungsrisiken auf die Sozialhilfe erhöht hat. Dies alles und auch rasante Entwicklungen in Gesellschaft, Arbeitswelt und Technologie hat die Sozialhilfe aufgefangen. Das System Sozialhilfe ist effizient und wirksam.
Sozialhilfe wirkt rasch
Nach wie vor sind viele Betroffene nur vorübergehend auf Sozialhilfe angewiesen. Rund die Hälfte der Menschen, die bei mir in Winterthur neu in der Sozialhilfe aufgenommen wird, ist innert eines Jahres wieder von der Sozialhilfe abgelöst und steht dank der Sozialhilfe und der Sozialberatung wieder auf eigenen Beinen.
Sozialhilfe schafft Perspektiven
Im Kennzahlenbericht der Städteinitiative Sozialpolitik konnten wir 2018 aufzeigen, dass die überwiegende Mehrheit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die in prekären Verhältnissen aufwachsen, den Ausstieg aus der Sozialhilfe schaffen. Sozialhilfe verhindert – oder reduziert zumindest – die Weitervererbung von Armut!
Von den in den Städten untersuchten 17-jährigen Jugendlichen, die in der Sozialhilfe waren, waren sechs Jahre später mehr als drei Viertel von der Sozialhilfe abgelöst. Bemerkenswert ist dabei insbesondere die hohe Integrationsfähigkeit der ausländischen Jugendlichen: Sie packen die Chance, die sie durch unser Schul- und Ausbildungssystem sowie durch das System der sozialen Sicherung erhalten. Damit leistet die Sozialhilfe einen wichtigen Beitrag für mehr Chancengerechtigkeit.
Sozialhilfe ist eine Realität
Trotz all diesen Erfolgen: Die Sozialhilfe kann nicht alle Probleme lösen. Es gibt einen zunehmenden Teil von Menschen, die lange bis dauerhaft in der Sozialhilfe verbleiben. Etwa ältere Langzeitarbeitslose oder Menschen, die «zu gesund für die IV und zu krank für den Arbeitsmarkt» sind. Hier braucht es Weiterbildung und die Absicherung von älteren Langzeitarbeitslosen, etwa durch Ergänzungsleistungen für ausgesteuerte über 55-jährige.
Es braucht aber auch die Einsicht, dass angesichts der rasanten gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen eine zunehmende Anzahl von Menschen den steigenden Anforderungen des Arbeitsmarktes nicht mehr genügen. Sie werden auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr nachgefragt. Diese Realität gilt es anzuerkennen. Darüber müssen wir eine Debatte führen, anstatt diese Realität zu verdrängen und die an sich gut funktionierende Sozialhilfe grundsätzlich anzugreifen und zu schwächen.
Sozialhilfe als Voraussetzung für zukunftsweisende Reformen
Der Wert der Sozialhilfe kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie leistet einen wesentlichen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt, zum sicheren Zusammenleben und zur Armutsbekämpfung. Sie hat aber auch einen massgeblichen Einfluss auf die Megathemen Digitalisierung, den Marktzugang zu Europa und den Klimawandel. Zukunftsgerichtete Antworten auf diese Themen sind für unser Land zentral und existentiell.
Klar ist aber: Wenn unser Netz der sozialen Sicherheit löchrig wird, wenn die soziale Absicherung gefährdet ist, wenn sich eine zunehmende Anzahl von Menschen abgehängt und ausgeschlossen fühlt, werden wir keine Mehrheiten für Reformen, für eine offene Schweiz mit einem Marktzugang zu Europa und für dringend notwendige Massnahmen beim Klimaschutz finden. Ohne soziale Absicherung durch eine gut funktionierende und breit abgestützte Sozialhilfe keine zukunftsweisenden Reformen für die Schweiz!
Website «Charta Sozialhlife Schweiz»