Vor genau zwanzig Jahren gewannen die Gewerkschaften, SP und Grüne zur allgemeinen Überraschung das Referendum gegen die vollständige Liberalisierung des Strommarktes. Während im Parlament nur ein Drittel der sozialdemokratischen Fraktion und ein Drittel der Grünen gegen dieses Gesetz gestimmt hatten, lehnte es das Schweizer Volk mit 52,6 % ab. Dank dieser Abstimmung ist die Schweizer Bevölkerung heute vor den schlimmsten Auswirkungen der Spekulationen geschützt, die heute die grossen europäischen Länder treffen. Doch auf den Erfolg von 2002 folgte eine Offensive der Wettbewerbskommission, die mit Unterstützung des Bundesgerichts feststellte, dass der Strommarkt trotz des Volksentscheids faktisch für den Wettbewerb geöffnet worden war. Sie haben sie sich dabei auf das Kartellgesetz gestützt.
Die Krise ist vorprogrammiert. In einem grossen Markt dauert es länger bis sie eintritt, aber irgendwann kommt sie. Der Auslöser kann extreme Kälte, eine Hitzewelle oder ein Krieg sein, aber strukturell schützt ein freier Markt nie vor dieser Versorgungskrise, die eine existentielle Gefahr für Wirtschaft und Haushalte darstellt.
Pierre-Yves Maillaird
Nationalrat VD
Es war diese Rechtsunsicherheit, die das Parlament dazu veranlasste erneut Gesetze zu erlassen und eine Teilliberalisierung für Grossverbraucher vorzunehmen. Genau jene, die heute Preiserhöhungen von 1500 bis 2000% hinnehmen müssen und den Anschluss an die Grundversorgung fordern.
Man nennt ihn übrigens nicht mehr den «gebundenen», sondern den «geschützten» Sektor. Seit 2002 wurde immer wieder das Gespenst der vollständigen Liberalisierung heraufbeschworen. Doch gerade am Jahrestag der Abstimmung von 2002 begrub der Ständerat diese vom Bundesrat vorgeschlagene Option. Und selbst die Europäische Union räumt ein, dass der liberalisierte Strommarkt völlig neu gestaltet werden muss, um die Versorgungssicherheit in den Vordergrund zu stellen.
Die Sachlage ist relativ einfach und wir haben sie bereits 2002 erläutert: Um eine sichere Stromversorgung zu gewährleisten, muss das Netz an jedem Tag des Jahres rund um die Uhr ausreichend mit Strom versorgt werden – trotz der starken Verbrauchsschwankungen, die durch Krisen und Klimaveränderungen entstehen können. Dafür braucht es Produktionsreserven. In einem Monopol wird die Entwicklung der Produktionskapazität einschließlich der Reserve langfristig geplant. Dabei werden alle Kosten auf die Preise umgerechnet, die reguliert und überwacht werden. In einem freien Markt wird die Reserve zu «Überkapazität» und niemand will mehr dafür bezahlen.
Langfristig gesehen, nähert sich die Produktionskapazität also der Nachfrage an, so dass sie nicht mehr in der Lage ist, Verbrauchsspitzen und Krisen zu bewältigen. Die Betreiber sind zu gewinnorientierten Unternehmen geworden – egal ob öffentlich oder privat. Sie haben also kein Interesse daran, Produktionskapazitäten zu sichern, die über der aktuellen Nachfrage liegen. Dies aus Angst, die Preise zu senken. Und Investoren zögern hunderte Millionen Franken oder gar Milliarden in Produktionskapazitäten zu binden, wenn sie nicht wissen, an welche Kund:innen und zu welchem Preis sie ihre Produktion langfristig verkaufen können.
Die Krise ist vorprogrammiert. In einem grossen Markt dauert es länger bis sie eintritt, aber irgendwann kommt sie. Der Auslöser kann extreme Kälte, eine Hitzewelle oder ein Krieg sein, aber strukturell schützt ein freier Markt nie vor dieser Versorgungskrise, die eine existentielle Gefahr für Wirtschaft und Haushalte darstellt.
All das hatten wir früh erkannt und ausgesprochen. Das war unsere sozialistische Überzeugung, die uns immer den öffentlichen Dienst als Organisationsform für natürliche Monopole und lebensnotwendige Güter und Netzwerke verteidigen liess. Wir mussten nur an dieser Überzeugung festhalten, trotz des Drucks der Medien, der Verachtung der Wirtschaftsverbände und der Versuchung, das Ziel der europäischen Integration über eine historische Überzeugung zu stellen.