Vor dem Hintergrund des verheerenden Erdbebens, der schweren Wirtschaftskrise und der anhaltenden Repression durch die aktuelle Regierung fordert die SP Schweiz vom Bundesrat den konsequenten Einsatz für Demokratie in der Türkei sowie wirksame Hilfe für die betroffenen Erdbebengebiete. Eine Delegation der SP Schweiz ist für fünf Tage in die Türkei gereist, um sich von der aktuellen Situation ein Bild zu machen und den Menschen vor Ort ihre Solidarität auszudrücken.
Die Schweiz hat eine besondere Verantwortung für den Schutz der türkischen Demokratie und für die humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau der vom Erdbeben betroffenen Gebiete. In der Schweiz leben viele Menschen aus der Türkei, die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen sind eng. Seit Jahren pflegt die SP Schweiz einen engen Kontakt mit ihren türkischen Schwesterparteien HDP und CHP sowie mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen.
Um sich von der aktuellen Situation ein Bild zu machen und um den Menschen vor Ort ihre Solidarität auszudrücken, reiste eine Delegation der SP Schweiz für fünf Tage in die Türkei. SP-Vizepräsident und Nationalrat Jon Pult, Nationalrat Mustafa Atici sowie Edibe Gölgeli und Mahir Kabakci, Mitglieder des Basler Grossen Rates, bereisten das Erdbebengebiet und führten zahlreiche Gespräche.
Für wirksame Hilfe für die Opfer des Erdbebens
Auf ihrer Reise durch den Süden der Türkei besuchte die Delegation zusammen mit dem Hilfswerk Solidar Suisse die besonders betroffenen Gebiete Gaziantep, Kahramanmaraş, Pazarcik, Elbistan, Kirikhan und Antakya. Das Ausmass der Zerstörung und das menschliche Leid sind kaum in Worte zu fassen. Die Zahl der Toten und Vermissten sowie der zerstörten Häuser ist deutlich höher als offiziell kommuniziert.
In Gesprächen mit Gemeindevertreter:innen, zivilgesellschaftlichen Hilfsorganisationen und lokalen Vereinen wurde zugleich das Versagen der zentralstaatlichen Behörden bei der Prävention wie auch in der Katastrophenhilfe offenbar. Hilfe kam und kommt in vielen Fällen zu spät und ist unzureichend. Zudem gibt es plausible Hinweise für behördliche Willkür, Diskriminierung und Missbrauch bei der Verteilung der dringend benötigten Hilfsgüter. Besonders vulnerable Gruppen wie etwa die Roma in der Stadt Kirikhan, die all ihre Wohnungen verloren haben, leben sieben Wochen nach dem Erdbeben immer noch ohne Zugang zu Strom, Wasser oder medizinischer Hilfe.
«Die Schweiz muss sich dafür einsetzen, dass die humanitäre Hilfe und der Wideraufbau gestützt auf das Prinzip ‘do no harm’ erfolgen. Ungeachtet der ethnischen, religiösen und politischen Zugehörigkeit müssen sie jene Menschen und Regionen erreichen, die sie am nötigsten haben», erklärt Nationalrat Mustafa Atici. Klar ist auch, dass die bisher zugesagten Mittel für den Wiederaufbau nicht ausreichen werden.
Für Demokratie und freie Wahlen
Beim anschliessenden Besuch in Ankara traf sich die Delegation der SP Schweiz mit Spitzenvertreter:innen der beiden Schwesterparteien HDP und CHP sowie mit weiteren Parteien der Opposition. Die stellvertretenden Parteivorsitzenden der HDP, Hişyar Özsoy und Feleknas Uca, betonten die Bedeutung der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen vom 14. Mai für eine demokratische und pluralistische Türkei. Daher verzichtet die HDP auf eine eigene Präsidentschaftskandidatur. Sie unterstützt den Kandidaten des «nationalen Bündnisses», den CHP-Vorsitzenden Kemal Kılıçdaroğlu, was angesichts des historisch belasteten Verhältnisses zwischen der kurdischen und kemalistischen Bewegung einen ausserordentlichen Schritt darstellt. Dass die politisch gesteuerte Justiz kurz vor den Wahlen ein Verbotsverfahren gegen die HDP anstrebt, beweise gemäss Özsoy und Uca, wie skrupellos und nervös das Regime sei. Um einem Verbot zuvorzukommen, hat die HDP bereits entschieden, ihre Kandidat:innen über die Kleinpartei Yeşil Sol Parti (Grün-linke Partei) kandidieren zu lassen und ein progressives Bündnis mit anderen linken Kleinparteien zu bilden.
Das grosse «nationale Oppositionsbündnis», bestehend aus CHP, IYI Parti, DEVA Partisi, Gelecek Partisi, Demokrat Parti und Saadet Partisi, hat sich zum Ziel gesetzt, neben dem Wideraufbau und der Bekämpfung der Wirtschaftskrise breit angelegte institutionelle Reformen umzusetzen. Dazu gehören die Rückkehr zum parlamentarischen System sowie die Wiederherstellung rechtsstaatlicher Prinzipien sowie die Umsetzung völkerrechtlicher und menschenrechtlicher Verpflichtungen der Türkei.
Damit einigermassen freie Wahlen stattfinden können, braucht es nun auch internationalen Druck. «Angesichts der historischen Bedeutung des 14. Mai muss der Bundesrat von der türkischen Regierung unmissverständlich die Durchführung von fairen und freien Wahlen einfordern», sagt SP-Vizepräsident Jon Pult. «Dabei muss er auch klarmachen, dass politische Repression, Wahlmanipulation und der Missbrauch der Justiz für politische Zwecke nicht mit den von der Türkei unterzeichneten Standards der OSZE und des Europarates vereinbar sind.»
Interpellation von Mustafa Atici «Erdbeben im Südosten der Türkei und Nordwesten Syriens: Konfliktsensitive Wiederaufbauhilfe»
Frage von Jon Pult in der Fragestunde des Bundesrats «Verbotsverfahren gegen die HDP vor den türkischen Wahlen. Was macht der Bundesrat?»