Die Angriffe gegen das kurdische Volk und auf die prokurdische Partei, HDP, nahmen vor den Parlamentswahlen am 7. Juni 2015 zu. Durch den hohen Stimmgewinn bei den Wahlen durch die HDP wurde eine Alleinherrschaft der AKP verhindert. Infolgedessen intensivierten sich die Angriffe auf die HDP und die kurdische Bevölkerung. Das kurdische Volk und demokratische Kräfte wurden nach der Wahl vom 7.Juni mit politischen Verhaftungen, Lynchangriffen und offener Staatsgewalt attackiert. Diese Gewalt und Unterdrückung weiteten sich im ganzen Land aus, und bei den vom IS organisierten und von der AKP nicht verhinderten oder gar geduldeten Massakern in Diyarbakır, Suruç und Ankara kamen 138 Menschen ums Leben.
AKP führt Krieg gegen Kurden
In einer Zeit, in der ein gerechter und dauerhafter Frieden zum Greifen nah war, begann die AKP einen erneuten Krieg. Dieser kostete bisher 342 ZivilistInnen und rund 400 PKK-KämpferInnen, Soldaten und Polizisten das Leben. Kurdische Regionen wurden zum Kriegsschauplatz, indem in 16 Provinzen mehr als 145 Bezirke vorübergehend zum speziellen militärischen Sicherheitsbereich erklärt wurden. Darüber hinaus wurde bisher in 18 kurdischen Städten 54 Mal Ausgangssperren verhängt, die hunderte Stadtviertel betrafen und weiterhin betreffen, manchmal zwei Wochen dauern und tatsächlich schlicht und einfach eine Belagerung darstellen.
Diese Ausgangssperren, die in keiner Weise über eine gesetzliche und verfassungsrechtliche Grundlage verfügen, verletzen die durch die Verfassung gewährten grundlegenden Rechte auf Leben, Gesundheit, Bildung und Bewegungsfreiheit. Dabei müsste die Gewährleistung dieser Grundfreiheiten vom Staat garantiert werden. Die Ausgangssperren betreffen ca. 1.5 Millionen Menschen, während ca. 250‘000 Menschen zur Flucht gezwungen wurden. In einem Gewaltszenario, in dem das ökonomische, soziale und kulturelle Leben völlig zum Stillstand gekommen ist, es keinen Zugang zum Strom und Trinkwasser gibt, Apotheken und Bäckereien geschlossen sind, kommen Kinder, Frauen und alte Menschen vor den Augen der ganzen Welt ums Leben.
Viele Örtlichkeiten, die als gemeinsames kulturelles Erbe der Menschheit gelten, werden vernichtet. Neben der Altstadt in Diyarbakır, die von der UNESCO als Weltkulturerbe angesehen wird, wurde die Kurşunlu Moschee, viele Cemevi (Glaubenseinrichtungen der AlevitInnen) und Kirchen zerstört. Unsere Abgeordneten, die sich mit den betroffenen Menschen solidarisieren und in die Bezirke gehen, in denen Ausgangssperren herrschen, sind mit brutaler Gewalt der Polizei und anderer Sicherheitskräfte konfrontiert.
Politische Polarisierung mit Folgen für Europa
Diese politische Stimmung in der Türkei stellt die Grundlage für eine gesellschaftliche und politische Polarisierung, die die Risiken weiterer Gewalt mit sich birgt, dar. Diese wird ebenso seine Auswirkung auf Europa und den Nahen und Mittleren Osten haben. Ein eventueller Bürgerkrieg in der Türkei würde ganz klar niemandem ausser den Anhängern des Autoritarismus zugutekommen. Leider ist die Verwirklichung solch eines Katastrophenszenarios heute näher als je zuvor. Eine solche Weiterentwicklung wird die Instabilität in der gesamten Region vertiefen, und unvermeidliche Konsequenzen für Europa und die ganze Welt haben.
Für die Lösung der Kurdischen Frage mit friedlichen Methoden ist es dringend, dass sämtliche militärischen Operationen schleunigst beendet werden, alle Seiten zum Verhandlungstisch zurückkehren, und Verhandlungen unter der Beobachtung einer dritten Partei unmittelbar mit Herrn Öcalan unter gleichen und freien Bedingungen erneut aufgenommen werden.
Wir möchten betonen, dass ein dringender Bedarf besteht, dass die internationale Öffentlichkeit und die jeweiligen politischen Akteure sich für die politische Stabilität in der Türkei und der ganzen Region auf die Seite der Freiheit, Demokratie und des Friedens stellen sollten.
Die Schweiz muss Eskalation bekämpfen
Die Schweiz muss die Eskalation verurteilen und bekämpfen. Der Bundesrat wird aufgefordert sich aktiv einzusetzen
- für die Wiederaufnahme und Fortsetzung der Friedensgespräche;
- für ein Ende der Gewalt von allen Seiten, auch der PKK;
- für den Stopp der Angriffe gegen kurdische Siedlungen;
- für die Achtung der Rechte und der Freiheit der neugewählten Parlamentarierinnen und Parlamentarier;
- für den Stopp der Waffenexporte in die Türkei, solange Krieg herrscht und die Menschenrechte verletzt werden.