Die Geschichte lehrt uns, dass die öffentlichen Kassen immer dann leer werden, wenn vermögende Schichten zu wenig – oder gar keine – Steuern zahlen. Heute kommt es immer mehr vor, dass eine Pflegefachfrau oder ein Zimmermann mehr Einkommenssteuern zahlen als ein schwerreicher Aktionär. Jedes Jahr wohnen mehr Superreiche in der Schweiz. Die Steuereinnahmen wachsen nicht entsprechend. Im Gegenteil: Kantone, Städte und Gemeinden leiden unter rückläufigen Steuern und sparen jetzt auf dem Buckel unserer Kinder, Schulen, Spitex und Betagten. Wie ist das möglich geworden?
Hinterrücks hat die Unternehmenssteuerreform II die meisten Aktionäre zur steuerfreien Kaste gemacht. Einerseits gab die bürgerliche Mehrheit im Parlament via Steuerharmonisierungsgesetz den Kantonen einen Freipass, um Dividenden für Aktionäre mit über zehn Prozent Beteiligung an einer Aktiengesellschaft von der Einkommenssteuer grenzenlos auszunehmen (Art. 7 Abs. 1 StHG). Anderseits trat erst nach Inkrafttreten des Kapitaleinlageprinzips 2011 zutage, dass gestützt darauf noch rund 1‘000 Milliarden (!) Reserven von Publikumsaktiengesellschaften zur steuerfreien Ausschüttung an ihre Aktionäre auf Jahre hinaus einkommens- und verrechnungssteuerfrei würden. Sowohl das Parlament wie auch die Stimmberechtigten wurden in diesem Punkt angelogen. Die SP verlangte Anhörungen von aussenstehenden ExpertInnen und stellte Fragen zu den Steuerausfällen. Beides wurde von der rechten Kommissionsmehrheit sowie von der damals SVP-geführten eidgenössischen Steuerverwaltung verweigert. Das Bundesgericht musste den damaligen Bundesrat wegen Verletzung der Abstimmungsfreiheit beim fast gewonnenen Referendum gegen die Unternehmenssteuerreform II infolge unrichtiger Angaben im Bundesbüchlein hart rügen (1C_176/2011).
Dass dadurch die meisten Aktionäre von in der Schweiz registrierten Aktiengesellschaften zur steuerfreien Kaste wurden, verletzt die vom Volk mit der schweizerischen Bundesverfassung gutgeheissenen Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichmässigkeit der Besteuerung sowie den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit aufs Gröbste.
Der Bundesrat tut daher gut daran, eine konsequente Beteiligungsgewinnsteuer auf Aktienverkäufen zur Korrektur des Sündenfalls Unternehmenssteuerreform II ernsthaft voranzutreiben. Auch weitere drastische Steuerschlupflöcher wie die massiv aufgeblasene indirekte Amortisation (Hypothekardarlehen werden für rentable Kapitalanlagen genutzt und der Schuldzins bei den Steuern abgezogen) sind zu stopfen.
Sollen Angestellte mit Lohnausweis sowie AHV-Rentnerinnen und -Rentner bezahlen, was die Unternehmenssteuerreform II hinterrücks für die Aktionäre den Steuern entzogen hat? Sollen sie mit der Unternehmenssteuerreform III nochmals in Milliardenhöhe zur Kasse gebeten werden zugunsten der Aktiengesellschaften?
Nein, und genau daher ist die Einführung einer Beteiligungsgewinnsteuer sowie die Schliessung weiterer drastischer Steuerschlupflöcher eine Vorbedingung, damit überhaupt auf eine Vorlage zu einer Unternehmenssteuerreform III eingetreten werden kann.