Der Bundesrat antwortet ausweichend auf meine Interpellation 18.3269 „Wäre die Aufdeckung stiller Reserven beim Zuzug aus dem Ausland ein neues, reputationsschädigendes Steuerschlupfloch?“. Wer das Konzernrechnungslegungsrecht kennt, warnt vor einem neuen Steuerschlupfloch, welches das Potenzial des Kapitaleinlageprinzips (KEP) mit zurzeit über 2‘000 Milliarden genehmigten steuerfreien Ausschüttungen an Aktionäre noch übertreffen könnte.
Klar ist: für die heutigen Statusgesellschaften senkt eine gesonderte reduzierte Besteuerung der aufgedeckten stillen Reserven während fünf Jahren den steuerbaren Gewinn für die Kantons- und Gemeindesteuern (vgl. Botschaft zur Steuervorlage 17 (SV17). Erst nach Ablauf dieser fünf Jahre unterstehen die heutigen Statusgesellschaften dann der ordentlichen Besteuerung wie alle anderen Aktiengesellschaften. Zwar wird diese Steuerermässigung in die sogenannte Entlastungsbegrenzung einbezogen. Kantone und Gemeinden müssen ihre Bevölkerung jedoch transparent über die entstehenden Steuerausfälle informieren. Besonders raffiniert ist der Regierungsrat des Kantons Schaffhausen vorgegangen. Per Verordnung hat er es Statusgesellschaften ermöglicht, den spontanen Informationsaustausch von steuermindernden Steuervorbescheiden (sogenannten „Rulings“ -BEPS-Massnahme 5) mit anderen Ländern zu umgehen.
„Stille Reserven einschliesslich selbst geschaffener Mehrwert“ als Fass ohne Boden für steuerfreie Gewinne
Der Bundesrat will die Aufdeckung stiller Reserven einschliesslich des selbst geschaffenen Mehrwerts der Gewinnsteuer entziehen, und zwar sowohl bei Zuzug aus dem Ausland als auch beim inländischen Übergang der Statusgesellschaften zur ordentlichen Besteuerung (Art. 61a DBG und 24c StHG).
Er schweigt sich sowohl in der Botschaft als auch in der Antwort zu meiner Interpellation 18.3269 darüber aus, dass es den Begriff der „stillen Reserven“ bei allen AG’s nicht mehr gibt, die gemäss IPSAS oder Swiss Gap FEER nach „true and fair view“-Standards Rechnung legen. Ausweichend verweist der Bundesrat auf einen „aktuellen Stand der Arbeiten in der OECD“ und Regelungen bspw. in Deutschland, ohne eine Gesetzesbestimmung zu nennen. Jedenfalls kennt das deutsche Lexikon des Rechnungswesens von 2011 das Stichwort stille Reserven nicht (mehr),
Fakt ist: Alle zivilisierten Staaten besteuern ihre Aktiengesellschaften beim Wegzug – zum Beispiel in die Schweiz – zum Verkehrswert ihrer Aktiven bzw. rechnen vollumfänglich ab mit ihnen. Die vom Bundesrat verwendete „Spiegelbildlichkeit“ ist ein falsches Bild. Würde eine Firma von den Niederlanden in die Schweiz ziehen und stille Reserven aufdecken, so würde es sich aus Sicht der Niederlande in der Schweiz um eine „verbotene Antrittsprämie“ handeln!
Gemäss Botschaft Seite 2613 will der Bundesrat Gesellschaften aus Offshore-Standorten in die Schweiz holen. Woher sagt er nicht. Die Schweiz als Steuerfluchthelferin – das darf es nicht sein!
Ebenso problematisch ist die Aufdeckung des „selbst geschaffenen Mehrwerts“ (inkl. „Goodwill“)“, ist dieser doch gemäss einhelliger Schweizer und deutscher Rechtsauffassung weder aktivierbar noch abschreibbar. Legaldefinition gibt es keine, daher könnte dieser Begriff in der Praxis unter Druck der internationalen Steuerberatungsfirmen grenzenlos aufgebläht werden.
In dieser Ausgangslage kann ich mir z.B. folgende Steuerschlupflöcher vorstellen:
Beispiel 1:
Verkauf innerhalb von Konzernholdings: Die Forschung und Entwicklung wird an eine Tochtergesellschaft ausgegliedert. Sie produziert Verluste. Um die Verluste zu decken wird dann beispielsweise das Medikament oder das entwickelte Patent an die Mutterfirma verkauft. Somit hat man dann direkt das immaterielle Wirtschaftsgut aktiviert in der Bilanz und könnte es nach SV 17 gewinnsteuermindernd über zehn Jahre abschreiben.
Beispiel 2:
Man verschiebt die Firma in die Schweiz und verkauft sie zum Marktpreis an einen vertrauenswürdigen Dritten. Im neuen Unternehmen werden dann die zu niedrigen Vermögensgegenstände plus ein hoher „Goodwill“ bilanziert. Den „Goodwill“ (immaterielles Wirtschaftsgut) schreibt man linear über zehn Jahre ab (Art. 61a DBG Abs. 4 und Art. 24c Abs. 4 StHG). Das Wegzugland weiss in 99% der Fälle davon nichts und kann daher auch keine Amtshilfe beantragen. Die Schürfrechte aus Lateinamerika oder Agrargrund und Bohrlizenzen in Afrika sind dann unterbewertet in die Schweiz gekommen und „korrekt“ nach SV17 erst in der Schweiz aufgewertet worden. Um der Sache die traurige Krone aufzusetzen kann der aufgedeckte Goodwill gewinnsteuermindernd geltend gemacht und während zehn Jahren abgeschrieben werden. Die Paradise Papers gaben Indizien für vermutlich korruptiv tiefpreislich erworbene Minenrechte in ärmsten Ländern wie der Demokratischen Republik Kongo. Ihnen würde also erneut ihr ureigenes Steuersubstrat auf Rohstoffen entzogen, weil sie für eine Wegzugsbesteuerung weniger gut organisiert sind als z.B. EU-Länder.
Die Blackbox der „Funktionen aus dem Ausland“
Gemäss Bundesrat sollen auch sogenannte „Funktionen aus dem Ausland“ in der Schweiz gewinnsteuerfrei aufgewertet werden dürfen. Der Bundesrat gibt in seiner Antwort auf meine Interpellation zu, dass der heute weder handels- noch steuerrechtlich bestehende Begriff der „Funktionen“ mit der SV17 neu eingeführt werden soll. „Wann genau eine Funktion vorliege, müsse im Einzelfall abgeklärt werden.“ Es ist daher plausibel, dass die rechten Mehrheiten im Parlament und die nachfolgende Praxis wiederum unter Druck der weltweit agierenden Steuerberatungsfirmen versuchen werden, einige Schlupflöcher bei der Übernahme dieses Begriffs einzubauen. Beispiele wären relativ freie Bewertungsregeln, was bei der steuerlichen Gewinnermittlung einnahmenmindernd wirken würde.
All diese Bestimmungen aus der SV17 sind daher in den parlamentarischen Beratungen besonders genau unter die Lupe zu nehmen und derart abzuändern, dass keine neuen Steuerschlupflöcher entstehen.