Das Buch, dessen Erscheinen wir heute feiern, stellt mit seinem Titel «Einig aber nicht einheitlich» die Frage nach den wichtigen Ingredienzen einer zukunftshaltigen politischen Debatte. Dieser Frage möchte ich anhand der Friedens- und Sicherheitspolitik der SP in den 1990er Jahren und zu Beginn des neuen Jahrtausends nachgehen. Im Rückblick auf die intensiven friedens- und sicherheitspolitischen Diskussionen jener Jahre innerhalb und ausserhalb der SP erkenne ich vier wesentliche Zutaten.
Klare moralische Positionierung
Die Friedens- und Sicherheitspolitik der SP und der befreundeten Organisationen ging in den 1990er Jahren von einem bedingungslosen Einstehen für die universellen Menschenrechte aus. Im Zentrum unserer Argumentationen stand das Recht des einzelnen Menschen auf Unversehrtheit an Leib und Leben, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder Religion – verbunden mit der Verantwortung des Staates und der Staatengemeinschaft sich dafür einzusetzen. Diese Haltung stellte einen klaren moralischen Anspruch dar, welcher in seiner Konsequenz zur friedens- und sicherheitspolitischen Positionierung des «Nie wieder Auschwitz» führte – und dies bewusst in Abgrenzung zur Forderung «Nie wieder Krieg».
Anschlussfähigkeit der Positionierung
Die friedens- und sicherheitspolitischen Projekte der SP in den 1990er Jahren waren in mehreren Dimensionen anschlussfähig. Auf der Zeitachse betrachtet verknüpften sie das Engagement der traditionellen «Arbeitsgemeinschaft für Rüstungskontrolle und ein Waffenausfuhrverbot» (ARW), welche sich in den 1960er Jahren als Reaktion gegen den damaligen Bührle-Skandal gebildet und die erste Waffenausfuhrverbotsinitiative lanciert hatte mit dem zukunftsgerichteten Einsatz für eine Beteiligung der Schweiz an der Staatengemeinschaft und damit für den Beitritt der Schweiz zur UNO. Thematisch liessen sich die Umverteilungs-/ Halbierungsinitiative sowie die Initiative für ein Waffenausfuhrverbot mit den Anliegen der Entwicklungszusammenarbeit, der Aussenpolitik und der Corporate social responsibility verknüpfen. Zudem gelang es organisationspolitisch, mit diesen Initiativen über die Linke und deren friedenspolitische Organisationen hinaus auch entwicklungspolitische und kirchliche Institutionen sowie Frauenkreise anzusprechen und einzubinden.
Kontextbezug der Positionierung
Der hoffnungsvolle Fall der Berliner Mauer einerseits sowie die gewaltsamen Auseinandersetzungen im zerfallenden Jugoslawien andererseits bildeten den Kontext der Friedens- und Sicherheitspolitik der 1990er Jahre. Vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs des Kalten Krieges war es angezeigt, die Friedensdividende und damit einen markanten Abbau der Armee einzufordern. Der Krieg im Balkan, unmittelbar vor unserer Haustüre, verlangte nach militärischem Schutz der Zivilbevölkerung vor Vergewaltigungslagern und Totschlag. Die Realität war somit vielschichtig und erlaubte keine ideologisch eindimensionale Positionierung. Und gerade dies erwies sich als zukunftweisend mit Blick auf das Konzept einer multilateral gefassten Friedens- und Sicherheitspolitik, welche den Menschen und seine Grundrechte ins Zentrum rückt und die Staatengemeinschaft in die Verantwortung nimmt. Mit dieser Positionierung verhalf die Linke dem Projekt der friedenssichernden Auslandeinsätze der Schweizer Armee als Beitrag zu einem System kollektiver Sicherheit unter dem Dach des Völkerrechts 2001 in der Volksabstimmung zu einer knappen Mehrheit.
Diskussionsbedarf und Diskussionsoffenheit der Positionierung
Das Konzept der kollektiven Sicherheit führte in Fraktion und Partei sowie darüber hinaus zu Auseinandersetzungen und zu einem kontinuierlichen Diskussionsbedarf. Das «Nie wieder Ausschwitz» wurde mit dem «Nie wieder Krieg» konfrontiert. Die Forderung nach einer Halbierung der Armee musste sich gegenüber der Abschaffung der Armee begründen. Militärischen Interventionen wurde ziviles Engagement gegenübergestellt. Die Internationalisierung der Friedens- und Sicherheitspolitik hatte sich auch in der Linken gegenüber der Tradition der Neutralität durchzusetzen. Doch letztlich bestätigten und stärkten die wiederkehrenden Debatten die Positionierung:
- Im Zentrum stehen der Mensch und seine universellen Menschenrechte.
- Die internationale Staatengemeinschaft steht in der Verantwortung, die Unantastbarkeit der Menschenrechte zu garantieren – notfalls mit militärischen Mitteln.
- Und: Unsere Verantwortung als Schweizer/innen für die Wahrung der Menschenrechte macht nicht an unserer Landesgrenze halt.
Diese Haltung hat für mich noch heute Gültigkeit. Die nationale Politik der letzten zehn Jahre war demgegenüber durch eine Polarisierung geprägt, die auch die Friedens- und Sicherheitspolitik blockierte. Zukunftsweisende Strategien und Projekte konnten nicht mehr entwickelt werden; wirkungsvoll war höchstens die Sparpolitik. Wem es lediglich um den Abbau der Armee geht, kann dies genügen. Mehr Frieden für mehr Menschen auf dieser Welt wird so aber nicht erreicht. Dazu braucht es konstruktive friedens- und sicherheitspolitische Konzepte, die parteiübergreifend Mehrheiten schaffen.