Was ist einzigartig an der SP?

Hans-Jürg Fehr, a. Präsident SP Schweiz, a. Nationalrat SH

Hans-Jürg Fehr, a. Präsident SP Schweiz, a. Nationalrat SH
Abschiedsrede an der Delegiertenversammlung der SP Schweiz vom 26. Oktober 2013 in Baden (AG).

In all den Jahren, in denen ich politische Reden gehalten, Programme, Konzepte und Wahlplattformen geschrieben habe, stellte ich mir immer wieder die Frage: Was ist eigentlich das ganz Typische an der SP? Was unterscheidet uns speziell von allen anderen? Was macht unsere Einzigartigkeit aus? Ich habe mich zusätzlich gefragt, welchen Begriff ich wählen würde, wenn ich für die Antwort nur ein einziges Wort zur Verfügung hätte.

Freiheit? – Nein, nicht Freiheit.
Demokratie?  – Nein, auch nicht Demokratie.
Gerechtigkeit? – Nein, nicht einmal Gerechtigkeit.
Gleichheit? – Ja, Gleichheit. Ich würde Gleichheit wählen.

Gleichheit verstanden als Gleichheit der Rechte, Gleichheit der Chancen, Gleichheit der Teilhabe an der politischen und wirtschaftlichen Macht, Gleichheit der Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Das Resultat einer so verstandenen Gleichheit ist nicht die Gleichheit der Individuen, ist nicht Gleichmacherei oder Gleichschaltung, es ist das exakte Gegenteil davon, nämlich die freie Entfaltung der in den Menschen angelegten Unterschiede. Gleichheit erzeugt Vielfalt.

Im ersten politischen Text, der im Geist der Aufklärung geschrieben wurde – der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung – steht der berühmte Satz: „All men are created equal.“ Alle Menschen sind gleich geboren. Das bedeutet: Die Menschen sind einander von Natur aus gleich gestellt, und es ist die Aufgabe der Politik, diese natürlich gegebene Gleichheit in eine gesellschaftliche zu übertragen. Die Französische Revolution hat diesen Faden bald darauf aufgenommen und die Gleichheit ins Zentrum ihres Kampfesrufs gestellt: „Liberté, égalité, fraternité“ – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Das Bürgertum, das die Revolution gegen die alte feudale Gesellschaftsordnung  anführte, pickte sich danach aus diesem Slogan die „Freiheit“ heraus und beanspruchte sie zum eigenen Vorteil. Die Gleichheit liess es links liegen und links heisst: Vor unseren Füssen, vor den Füssen der Sozialdemokratie. Wir haben sie von dort in die Hände genommen und verstanden, dass genau das unsere historische Aufgabe ist: Gleichheit herstellen, auch die Gleichheit an Freiheiten, denn frei ist eine Gesellschaft nur, wenn alle gleichermassen frei sind und nicht bloss ein paar wenige.

Gleichheit ist aber nicht nur ein Ziel, sondern auch eine Methode, ein politisches Konzept von überragender Brauchbarkeit. Brauchbar für eine radikale, grundsätzliche Politik und brauchbar für eine pragmatische Tagespolitik. 

Jede historische Gesellschaft enthält mehr oder weniger viele und mehr oder weniger ausgeprägte Ungleichheiten. Jede einzelne davon ist politisch beeinflussbar, das heisst, man kann sie kleiner oder grösser machen. Die Aufgabe der SP ist es, sie kleiner zu machen, im besten Fall zu beseitigen.

Ich gestatte mir noch den Hinweis auf ein Buch, das auf geradezu umwerfende Art den Nutzen des Konzepts Gleichheit erhellt: „Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind“ (Von Richard Wilkinson und Kate Pickett). Dieses Buch wertet hunderte von wissenschaftlichen Studien aus aller Welt aus und beweist mit ihrer Hilfe, dass Gesellschaften mit vielen und grossen Ungleichheiten wesentlich schlechter funktionieren und wesentlich mehr negative Erscheinungen hervorbringen als Gesellschaften mit weniger und kleineren Ungleichheiten. Gleichheit ist also die beste Methode, um den meisten Menschen individuell ein gutes Leben zu ermöglichen und gleichzeitig in der Gesellschaft viele negative Begleiterscheinungen zu reduzieren.

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