Interview von SP Nationalrätin Claudia Friedl für Swissinfo zu 20 Jahren UN-Resolution 1325 «Frauen Frieden Sicherheit» Juli 2020
- Was verstehen Sie unter „feministischer Aussenpolitik”?
Für mich stellt die feministische Aussenpolitik den Genderaspekt in den Mittelpunkt. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Geschlechtergleichstellung, dem Schutz der Menschenrechte, nachhaltiger Entwicklung und der Wahrung von Frieden und Sicherheit. Ich bin überzeugt, dass erfolgreiche Aussenpolitik nur gelingt mit einer konsequenten Genderperspektive. Frauen müssen gleichberechtigt an der Gestaltung und Umsetzung der Aussenpolitik beteiligt sein. Diese Politik richtet sich danach aus, die Rechte von Frauen und Mädchen nachhaltig zu stärken und Geschlechtergleichstellung zu fördern, Gewalt gegen Frauen und Mädchen in Friedenszeiten und Krisenzeiten zu verhindern und abzubauen.
Aussenpolitik ist auch Sicherheitspolitik. Im Zentrum der Sicherheitspolitik muss die Friedenssicherung und nicht militärische Auseinandersetzungen stehen. Dazu braucht es genügend Ressourcen für alle Aspekte zur Förderung der menschlichen Sicherheit wie Friedensvermittlung, Vergangenheitsbewältigung, Korruptionsbekämpfung, Gewaltbekämpfung. Die Rolle der Frauen ist in diesen Bereichen äusserst wichtig.
Es braucht aber ebenso genügend Ressourcen für die Entwicklungszusammenarbeit, die den Genderaspekt stark berücksichtigen muss. Im Fokus steht der breite Zugang für Frauen zu Bildung, medizinische Versorgung, Krediten, Boden (Eigentum), Politik und Mitbestimmung.
Feministische Aussenpolitik verlangt die niederschwellige Mitbestimmung der Bevölkerung, insbesondere der Frauen und den Einbezug der Zivilgesellschaft. Fakt ist, es wird vielmehr für Militär ausgegeben also für Friedensförderung und Entwicklung. Auch in der Schweiz.
- Setzt die Schweiz die UNO-Resolution Ihrer Meinung nach gut um?
Die Schweiz hat einen nationalen Aktionsplan zur UN-Resolution 1325 Frauen Frieden Sicherheit Frauen erstellt und 2018 einen Bericht dazu publiziert. Es zeigt sich, dass die Umsetzung der Resolution ein wichtiger Teil der Friedensförderung ist. Es zeigt sich, dass die Gewaltproblematik in fragilen Kontexten ein Synonym zur Genderfrage ist. Es ist erschreckend, wie stark die Frauen und Mädchen unter der Gewalt leiden.
Die Schweiz versucht mit Friedensförderung in verschiedenen Ländern neue Akzente zu setzen. So z.B. in Syrien, wo dafür gesorgt werden konnte, dass Frauen mit am Verhandlungstisch zu den Friedensbemühungen sassen. Das ist ein Anfang, aber leider noch wenig. Die Erfolge sind schmal und doch ist der Ansatz enorm wichtig: Frauen in den Friedensprozess einbeziehen, Frauen in den Organisationen unterstützen, Frauen ausbilden in Menschenrechte und Entwicklung, ihnen eine starke Stimme geben.
Die Schweiz hat mit der Abteilung AMS (Abteilung menschliche Sicherheit) eine kleine, aber wichtige Einheit geschaffen. Die Schweiz arbeitet mit verschiedenen internationalen Institutionen v.a. auch in Genf zusammen. Sie verfügt über Partner-Organisation der Zivilbevölkerung, die unbedingt weiter gefördert werden müssen, weil sie ein grosses Netzwerk haben und wertvolle Inputs liefern.
Die Umsetzung durch die Schweiz ist teils gut. Wo es sicher harzt ist die Politikkohärenz. Friedensförderung und Mediation in Krisenfällen passt schlecht zu Waffenexporten …
Eine engere Zusammenarbeit mit der Umsetzung der Resolution CEDAW, welche die Gleichstellung der Geschlechter verlangt, würde auch noch eine Stärkung versprechen.
- Kennen Sie gelungene und weniger gut gelungene Beispiele feministischer Aussenpolitik?
Schweden hat als erstes Land mit feministischer Aussenpolitik begonnen und diese auch so benannt. Man will sich an den Bedürfnissen von Frauen und Mädchen orientieren. Kanada hat sich auch getraut, diese Art der Aussenpolitik einzuführen. Das sind mutige und wichtige Schritte. Denn die Förderung von Frieden und Sicherheit aus einer Genderperspektive bedeutet neben der diplomatisch-politischen Ebene und der Sicherheitspolitik auch Sozial- und Wirtschaftspolitik. Einzelne Beispiele zu benennen ist schwierig, weil es sich dabei um Prozesse handelt, die lange dauern und sich nicht unbedingt 1:1 einer einzigen Aktion zuordnen lassen.
Wichtig ist die Grundeinstellung, die in die Aussenpolitik einfliessen muss: immer die gender-spezifischen Aspekte zur Sprache bringen, die Frauen einbeziehen in Friedenszeiten und bei Konflikten, damit sie mit am Tisch sitzen, wenn es um Entscheidungen geht. So können Fortschritte erzielt werden. Das EDA ist in ihren Kernregionen der Grossen Seen und der Mena-Region daran, dies aufzubauen.
Wichtige Aufgaben ist auch die Bewältigung der Vergangenheit. Auch dabei darf der Fokus auf die Aufarbeitung der sexuellen Gewalt gegen Frauen und Mädchen, wie sie in Krisenregionen systematisch angewendet wird, nicht fehlen. Die Frauen haben das Recht auf einen Zugang zur Justiz. Auch daran arbeitet die Schweiz.
- Wenn man Literatur zum Thema liest, merkt man, dass mit «feministischer Aussenpolitik» eigentlich eine humanere Aussenpolitik gemeint ist, die Rücksicht auf Minderheiten und Schwächere nimmt. Ist der Begriff «feministische» Aussenpolitik Ihrer Meinung nach missglückt?
Also, ich kenne keine Literatur, die sich damit beschäftigt. Mich erstaunt es nicht, dass feministische Aussenpolitik auch Minderheiten und Schwächere mitnimmt. Die Resolution 1325 definiert sowohl Sicherheit als etwas ganzheitliches und stellt den Frieden ins Zentrum, der gerade für die vulnerablen Teile der Gesellschaft wichtig ist. Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, die im Ziel 16 den Frieden vorsieht, betrifft alle, auch Minderheiten und Schwächere im Sinne von LEAVE NO ONE Behind. Wenn eine feministische Aussenpolitik dazu beiträgt, ist sie durchaus geglückt und gewollt.
Der Begriff feministische Aussenpolitik ist absolut nicht missglückt. Es geht um die Integration von Menschenrechten von Frauen und Mädchen in die aussenpolitischen Ziele eines Landes. Die Rechte, Repräsentation und Ressourcen von Frauen und Mädchen müssen gestärkt werden. Aussenpolitik aus dieser Perspektive kommt auch Minderheiten und Schwächeren zugute. Es geht nicht um Mann gegen Frau, sondern um eine partizipative gleichberechtigte Gestaltung der Aussenpolitik, von der alle profitieren.
- Während der Corona-Krise wurde ernsthaft behauptet, Frauen führten verantwortungsvoller durch Krisen. Auch bei der «feministischen Aussenpolitik» könnte man den Eindruck erhalten, Frauen seien «humaner». Gleichzeitig betonen Friedens- und Menschenrechtsorganisationen, es gebe keine Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Ist das ein Widerspruch?
Ich kenne diese Behauptungen nicht. Es wäre aber sicher interessant, eine solche Analyse empirisch durchzuführen. Die Frage stellt sich mehr, wo Frauen an den Entscheidungen beteiligt waren und was ihre Position war. In vielen Ländern sieht man, dass unter Corona die sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen zunimmt. Das zeigt, wie wichtig eine genderspezifische Politik ist.
Wichtig ist, dass eine Aussenpolitik so gestaltet wird, dass sie zu nachhaltiger Entwicklung beiträgt, in der Konflikte abgebaut und Friede gesichert wird. Die Friedenspolitik muss im Zentrum stehen.
Eine feministische Aussenpolitik kann dazu beitragen.