Die Debatte um die Energiewende baut auf zwei Feststellungen auf, die niemand bestreitet:
- Erstens: Unsere Atomkraftwerke gelangen ans Ende ihrer Lebensdauer. Früher oder später müssen sie abgestellt werden, weil sie schlicht abgenützt sind. Das Abschaltdatum ist noch unklar, ausser für Mühleberg, das Ende 2019 vom Netz geht, wie es die Eigentümerin BKW beschlossen hat. Aber schon heute mindern die wiederkehrenden Pannen die Leistung der AKWs. Mitte der 2000er Jahre haben die AKWs 26 TWh Strom produziert, was ungefähr 40 Prozent des schweizerischen Stromverbrauchs entsprach, während es heute nur noch 20 TWh sind. So war das AKW Leibstadt den ganzen Winter hindurch nicht am Netz und Beznau 1 ist sogar seit zwei Jahren ausser Betrieb.
- Zweitens: Die Schweiz ist stark abhängig vom Import von Gas und Öl. Diese beiden fossilen Energieträger decken heute rund 65 Prozent der hiesigen Energienachfrage ab. Ihr Verbrauch setzt CO2 frei, jenes Gas also, das hauptverantwortlich für den Klimawandel ist.
Die Energiestrategie 2050, über die wir am 21. Mai abstimmen, will den Atomstrom Schritt für Schritt durch einheimische erneuerbare Energien ersetzen, indem in schon existierende oder neue Anlagen investiert wird. Gleichzeitig gibt sie Anreize zur Verbesserung von elektrischen Geräten. Schliesslich, und das ist quantitativ der grösste Hebel, will die Energiestrategie 2050 die Effizienz beim Verbrauch fossiler Energien verbessern. Insbesondere sollen die Emissionen der Autos pro gefahrenem Kilometer gesenkt und die Sanierung von Gebäuden beschleunigt werden.
Was ist also der Plan B? Bei einer Ablehnung der Energiestrategie 2050 zeichnen sich drei alternative Wege zur Sicherung der Energieversorgung ab. Denn Nichtstun ist keine Option, schliesslich ist die Abschaltung der immer älter werdenden AKWs unvermeidlich. Wenn überhaupt, dann könnte ihre Ausserbetriebnahme ein paar Jahre hinausgeschoben werden, was allerdings zusätzliche Risiken mit sich brächte.
Der erste Plan B bestünde darin, neue AKWs als Ersatz für die alten zu bauen. Allerdings ist es sehr zweifelhaft, dass diese AKWs rechtzeitig in Betrieb genommen werden könnten, wenn man sich vor Augen hält, wie langwierig der politische Prozess und wie komplex der Bau von AKWs ist. Als Konsequenz müssten wir für eine unbestimmte Zeit die gesamte Energie, die heute von AKWs kommt, importieren.
Vor allem aber wäre diese Strategie völlig verantwortungslos gegenüber der Bevölkerung, da die Atomkraft grosse Risiken birgt und es für die Abfälle nach wie vor weit und breit keine Lösung gibt. Ein solches Projekt hätte in einer Abstimmung praktisch keine Chance. Doch schon vor der Abstimmung würde es an wirtschaftlichen Hindernissen scheitern. Die Kosten für den Bau und den Rückbau eines AKWs sowie für die Entsorgung der Abfälle sind nämlich exorbitant hoch. Wie die Beispiele aus Grossbritannien und Frankreich zeigen, bräuchte es eine massive Unterstützung seitens des Staats, damit der Bau überhaupt in Angriff genommen werden könnte. Und selbst bei gesetzlich festgelegten Tarifen, die über jenen für erneuerbare Energien liegen, bleiben die wirtschaftlichen Risiken gewaltig und die Unsicherheit gross. Das zeigt der Fall der amerikanischen AKW-Gesellschaft Westinghouse, die kürzlich knapp am Konkurs vorbeischrammte.
Der zweite Plan B wäre der Bau von Gaskraftwerken – oder sogar von Kohlekraftwerken – als Ersatz für den Atomstrom. Diese Option wäre natürlich ein klimapolitischer Sündenfall. Ein Donald Trump mag daran seine Freude haben, aber es ist und bleibt unverantwortlich. Ausserdem würde diese Alternative die heute schon grosse Abhängigkeit der Schweiz vom Import fossiler Energien noch mehr vergrössern. Im Hinblick auf die Kosten und die Versorgungssicherheit wären die Risiken also sehr beträchtlich.
Der dritte Plan B besteht darin, den Atomstrom durch Stromimporte zu ersetzen. Rein technisch ist diese Alternative machbar, zumindest kurzfristig. Sie wurde diesen Winter schon ohne grosse Probleme angewendet, um die fehlende Hälfte der Atomenergie zu ersetzen. Allerdings würde ebenfalls die Abhängigkeit vom Ausland weiter steigen, wenn wir nach Gas und Öl nun auch noch Strom importierten. Das strategische Risiko wäre also sehr gross, sowohl was die Versorgungssicherheit wie auch die Energiepreise anbelangt.
Fazit: Angesichts der faktischen Unmöglichkeit, neue AKWs zu bauen, und angesichts des fortschreitenden Klimawandels würde ein Nein am 21. Mai direkt zum dritten Plan B führen, also zu einer drastischen Erhöhung der Stromimporte. Wer also die Energiestrategie 2050 deswegen kritisiert, weil sie als Ersatz für den Atomstrom teilweise und vorübergehend die Importe erhöht, argumentiert absurd und scheinheilig. In Wirklichkeit sorgt ein Ja zur Energiestrategie 2050 zu weniger Importabhängigkeit und zum Aufbau einer einheimischen und sauberen Energieproduktion.
Darum verdient die Vorlage von Bundesrat und Parlament unsere Unterstützung. Mit anderen Worten lohnt es sich, dem Vorbild unserer Vorfahren zu folgen: Mit dem Ausbau der Wasserkraft haben sie uns ein grosses Erbe hinterlassen. Ihre Vorarbeit müssen wir weiterführen und auf die neuen erneuerbaren Energien ausweiten. Im Gegensatz zu Uran, Gas und Öl, die teuer importiert werden müssen, ist die Primärenergie – also Wind, Wasser, Sonne und Erdwärme – seit jeher in der Schweiz heimisch. Wir müssen sie nutzen, indem wir in die richtigen Anlagen investieren, und gleichzeitig unsere Anstrengungen in Sachen Effizienz verdoppeln. Eine solche Herausforderung passt perfekt zur Innovationsfähigkeit und zur kulturellen Tradition der Schweiz.