Wie viele Tote, bis wir sagen «Refugees welcome»?

Am Montag 9. Mai war Europatag. Es ist ein Tag, den wir feiern sollten. Europa und seine Union brachten uns Frieden und Wohlstand. Aber heute ist Feiern das Letzte, was wir tun können. Stattdessen trauern wir. Wir betrauern die Tausenden, die starben, und die vielen, die im Mittelmeer und auf den europäischen Routen noch sterben.

Jeden Tag scheint die Würde Europas weiter weg, dank der kompletten Blindheit der Regierungen angesichts der riesigen humanitären Krise. Jeden Tag fühlen wir uns weniger und weniger stolz, Europäer zu sein, wenn wir den Mangel an Menschlichkeit in unseren Regierungen sehen, die entschieden haben, das Problem mit den autoritären türkischen Behörden wegzudealen, statt ihre eigene Verantwortung wahrzunehmen.

Aber wir lehnen diese Situation ab. Wir akzeptieren die Wiedereinführung von Grenzen nicht, die nicht nur unsere Chancen als Junge in Europa, sondern viel wichtiger auch die Menschenrechte infrage stellen, auf denen unsere Union gegründet wurde. Wir akzeptieren es nicht, dass die rechtsextreme Rhetorik über das ganze politische Spektrum Einfluss gewinnt, und wir kämpfen weiter für die Ideen von Gleichheit und Solidarität unter den Menschen.

Wie viele Frauen und Kinder werden noch gezwungen sein, die gefährlichsten Wege zu nehmen, weil die europäischen Regierungen die Möglichkeit für den Familiennachzug beschränkten? Wie viele Frauen und Männer werden noch gezwungen sein, sich zu prostituieren, weil es die einzige Möglichkeit ist, zu überleben, bevor die Regierungen es Asylsuchenden erlauben, in Würde auf unserem Kontinent zu leben? Wie viele Tote werden es sein, bis die Regierungen sagen «Refugees welcome»?

Heute sehen wir mit Enttäuschung und Wut, dass die meisten europäischen Regierungen nicht gemäss den Grundprinzipien handeln, auf denen die EU gegründet wurde: Menschlichkeit, Freiheit und Solidarität der Menschen. Schlimmer: Unser Kontinent verhält sich, als ob unsere Geschichte nicht genügend Tragödien zählen würde, oder als hätte er nichts mit der internationalen Situation zu tun, die so viele Familien zwang, ihre Länder zu verlassen.

Als Vorsitzende der Sozialistischen Jugend wurde uns die Wichtigkeit, für seine Ideen einzustehen, mit Einsteins Worten gelehrt: «Die Welt wird nicht von den Menschen bedroht, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen.»

Und genau das werden wir nicht tun. Wir werden nicht still bleiben. Wir lehnen diese dramatische Situation ab, und wir wissen, dass es einen anderen Weg gibt. In den vergangenen Wochen haben wir Kampagne gemacht, um zu sagen «Refugees welcome». Indem wir diese Botschaft in ganz Europa verbreiten, haben wir das Ziel, die öffentliche Debatte von Angst zu Verantwortung zu drehen: Wir wollen Europa dazu bringen, den Zustrom von Flüchtenden als moralische Pflicht und Chance anzuerkennen. Und wir rufen alle Europäerinnen und Europäer dazu auf, es uns gleichzutun.

Jetzt ist die Zeit gekommen, unsere Pflicht zu tun. Es gibt keinen Flüchtlingstsunami, der auf uns zukommt. Viele Männer und Frauen suchen Schutz auf unserem Kontinent, ja. Aber das ist machbar, wenn wir die nötigen Mittel zur Verfügung stellen und wenn wir diese Verantwortung in Europa teilen. Wir rufen unsere Staatsoberhäupter auf, endlich mit den Fragen fertigzuwerden, die auf der Hand liegen.

Wir rufen die europäischen Regierungen auf, endlich eine faire und humane Asylpolitik einzuführen, indem sie:

  • Mehr legale Routen öffnen, um das Massensterben im Mittelmehr zu verhindern.
  • Internationales Recht respektieren und Flüchtenden erlauben, in dem Land Schutz zu suchen, für das sie sich entschieden haben, und nicht in dem, das man ihnen zuweist. Die Genfer Konvention ist nicht einfach ein Stück Papier. Es ist ein Dokument, das aus den Folgen der Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges entstanden ist. Es nicht zu respektieren, heisst, unsere Geschichte und ihre Lektionen nicht zu respektieren.
  • Die Restriktionen beim Familiennachzug stoppen, die Frauen und Kinder auf die Strasse treiben.
  • Tausende öffentliche und zivilgesellschaftliche Jobs in Europa schaffen, um Flüchtende zu hosten und zu integrieren. Vom Sicherstellen der Grundbedürfnisse bei der Ankunft, dem Handeln des administrativen Prozesses bezüglich Asyl, dem Organisieren des Zugangs zu Wohnen, Gesundheit und Bildung: Flüchtende in die europäische Gesellschaft zu integrieren, bedarf menschlicher und finanzieller Anstrengungen, die viele Jobs für unsere Generation schaffen können.
  • Eine dringende Konferenz der Mitgliedstaaten organisieren, um die europäische Asylgesetzgebung zu reformieren und zu harmonisieren, speziell indem das Dublin-System ersetzt wird, das enormen Druck auf die Nachbarländer macht und das Teilen von Verantwortung unter den europäischen Ländern verhindert.
  • Sanktionen für jene Länder implementieren, die sich weigern, Flüchtende aufzunehmen oder sie schlecht behandeln.
  • Fluchtursachen bekämpfen: Anstatt Asylsuchende müssen die europäischen Regierungen die Ursachen der Flucht bekämpfen. Hierfür muss Europa alles daran setzen, Frieden, den Respekt der Menschenrechte und die Reduktion von Armut zu unterstützen. Heute ist zu oft das Gegenteil der Fall.

Gemeinsamer Aufruf der YES-Vorsitzenden (Young European Socialists), veröffentlicht am 9. Mai

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