«Wir Menschen mit Behinderungen haben genug!»

Am Parteitag von Ende Februar steht das Thema Inklusion im Zentrum. Treibende Kraft hinter dem Positionspapier, das beraten wird, ist der Zürcher Nationalrat Islam Alijaj. Denn meistens reden und bestimmen Menschen ohne Behinderungen über Menschen mit Behinderungen. Damit muss endlich Schluss sein.

Menschen mit Behinderungen machen 22 Prozent der Bevölkerung aus, das sind 1,8 Mio. Personen in der Schweiz. Inklusion betrifft also viele. Weshalb hat die AG Inklusion dieses Positionspapier gerade jetzt ausgearbeitet?

Islam Alijaj: Weil wir jetzt ein «Window of Opportunity» haben und damit einen optimalen Zeitpunkt, um tatsächliche Inklusion umzusetzen. Wir Menschen mit Behinderungen haben genug! Wir wollen nicht mehr warten und vor allem nicht mehr zurückstecken. Und dafür setzen wir uns auch ein. 2023 fand die Behindertensession im Parlament statt. Die Inklusionsinitiative haben wir 2024 eingereicht. Und kurz vor Weihnachten präsentierte Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider sogar einen Vorschlag für ein Inklusionsgesetz.

Die SP Schweiz kämpft seit langem für Inklusion. Woran müssen wir innerhalb der Partei noch arbeiten?

Ich denke, die SP ist bereits sehr gut unterwegs. Doch wie überall gilt es, am Mindset zu arbeiten. Das ist kein Vorwurf: Wir alle sind damit aufgewachsen, zu denken, dass Menschen mit Behinderungen arme, hilflose Geschöpfe sind. Doch wir haben ein Potential, das wir entfalten wollen. Sei es in der Schule, in der Wirtschaft oder eben in der Politik. Bei der politischen Partizipation kann die SP einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, um diese voranzutreiben. Zum Beispiel, indem sie aktiv Menschen mit Behinderungen motiviert, für ein Amt zu kandidieren, etwa für den Gemeinderat oder den Kantonsrat.

Die Schweiz hat die UN-Behindertenrechtskonvention bisher nur unzureichend umgesetzt. Wo wird die Umsetzung blockiert?

Ja, es fehlt an einer konsequenten Umsetzung. Es gibt weder eine umfassende Strategie noch einen Aktionsplan. Gesetze werden weiterhin ohne die Beteiligung von Betroffenen und aus einem defizitorientierten Verständnis von Behinderung heraus erlassen. Um die von der BRK geforderte Inklusion endlich umzusetzen, braucht es aber klare Ziele, Zuständigkeiten und einen verbindlichen Plan.

Welche Massnahmen braucht es, um Menschen mit Behinderungen gleichberechtigten Zugang zum ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen und die Ausbeutung in geschützten Werkstätten zu beenden?

Der Schlüssel hier ist Assistenz, die nicht von Arbeitgeber:innen-Seite getragen wird. Die IV sollte die Assistenzbeiträge so ausbauen, dass Betroffene im Beruf ihre Behinderungen egalisieren können. Ausserdem können Menschen im zweiten Arbeitsmarkt keine Altersvorsorge aufbauen, weil das nicht vorgesehen ist. Das müssen wir als gewerkschaftliche Stimme ändern.

Die AG Inklusion übt im Positionspapier viel Kritik an Sozialversicherungen wie der IV. Was funktioniert nicht?

Auch die IV ist noch im Mindset des letzten Jahrhunderts und hat das Bild des armen, hilflosen Geschöpfes im Kopf. Und dieses arbeitet nicht, sondern ist auf Hilfe und Fürsorge angewiesen. Auch das müssen wir ändern.

Was sind die dringendsten Schritte, um Barrierefreiheit im öffentlichen Raum zu gewährleisten?

Priorität sehe ich aktuell beim öffentlichen Verkehr. Seit über einem Jahr befinden wir uns in einem gesetzeswidrigen Zustand, denn eigentlich hätte per 1. Januar 2024 der gesamte ÖV barrierefrei sein müssen. Es gibt nun einen Austausch über einen gemeinsamen runden Tisch mit allen Stakeholdern, um einen gemeinsamen Umsetzungsplan zu entwickeln.

Im Positionspapier wird ein Paradigmenwechsel hin zur Subjektfinanzierung gefordert. Was bedeutet das konkret?

Ich nehme mich als Beispiel: Durch Assistenz kann ich meine Behinderungen egalisieren. Das bedeutet für mich, dass ich mich beruflich entwickeln und mein politisches Amt als Nationalrat ausüben kann. So bin ich unabhängig – persönlich, aber auch vom Staat. Durch meine Arbeit ist es mir zudem möglich, mir eine Altersvorsorge aufzubauen, was auch beträchtlich zu meiner Unabhängigkeit beiträgt. Die Subjektfinanzierung stellt den Menschen in den Vordergrund und ermöglicht damit ein selbstbestimmtes Leben mit allem, was dazugehört: Wohnen, Arbeiten, Kultur usw.

Menschen mit Behinderungen sind auf und nach der Flucht mit hohen Hürden konfrontiert. Wo liegen hier die besonderen Schwierigkeiten?

Die Unterkünfte für Asylsuchende sind oftmals nicht barrierefrei und die Behörden, die ohnehin schon überfordert sind, wissen nicht, wie mit Behinderungen umgehen. Und es fehlt an einer behördenübergreifenden Zusammenarbeit.

Welche strukturellen Massnahmen sind notwendig, um Frauen mit Behinderungen besser vor Gewalt und Missbrauch zu schützen, sowohl im privaten Umfeld als auch in Institutionen?

Auch hier muss am Mindset gearbeitet werden – ich wiederhole mich. Zudem müssen Anlaufstellen auch barrierefrei gestaltet sein. Es gibt nur ein einziges barrierefreies Frauenhaus, das befindet sich in Chur. Das ist viel zu wenig. Beratungsangebote zum Beispiel müssen in Gebärdensprache, in leichter Sprache und in Brailleschrift angeboten werden, um den Zugang barrierefrei zu ermöglichen. Und die Gesellschaft darf nicht wegschauen: Gerade sexualisierte Gewalt passiert auch in diesem Kontext oft.

Beitrag teilen:

Facebook
Twitter
LinkedIn
Animation laden...Animation laden...Animation laden...

Newsfeed

Du hast Fragen zur Mitgliedschaft oder dem Mitgliedschaftsformular? Wir helfen gerne.

Häufige Fragen

Am einfachsten, indem Du online das Beitrittsformular nebenan ausfüllst.

Du kannst selbst entscheiden, welches Engagement für Dich am besten passt.

  • Wenn Du wenig Zeit hast, ist es absolut in Ordnung, wenn Dein Engagement sich vor allem darauf beschränkt, Deinen Mitgliederbeitrag zu bezahlen. Auch das hilft uns sehr, um die Schweiz und die Welt zu einem besseren Ort zu machen.
  • Die Sektion, bei welcher Du Mitglied bist, wird Dich eventuell hin und wieder anfragen, ob Du Zeit hättest, bei einer Standaktion, einer Unterschriftensammlung oder einer Telefonaktion mitzumachen. Falls Dir das zusagt, sind wir sehr froh darüber – aber es ist natürlich völlig freiwillig.
  • Die meisten Sektionen führen regelmässig Mitgliederversammlungen durch, um die aktuellsten politischen Themen und Aktivitäten zu besprechen. Die Teilnahme daran ist natürlich ebenfalls völlig freiwillig. Aber es kann ein guter Ort sein, um neue Leute kennenzulernen.
  • Falls Dich ein Themengebiet besonders bewegt, kannst Du Dich in einer Themenkommission der SP Schweiz oder Deiner Kantonalpartei engagieren, oder in einer der Unterorganisationen wie den SP Frauen, den SP Migrant:innen, der SP 60+ oder der SP queer.
  • Häufig gibt es auch die Möglichkeit, ein partei-internes Amt, z.B. im Vorstand Deiner Sektion zu übernehmen.
  • Falls Du das möchtest, kannst Du mit Deiner Sektion auch Kontakt aufnehmen, um über eine Kandidatur für eine öffentliches Amt zu sprechen, z.B. in der Schulpflege Deines Wohnortes.

Um unsere Werte verteidigen zu können, braucht es finanzielle Mittel. Die SP ist eine Mitgliederpartei und schöpft ihre Stärke aus dem Engagement ihrer Mitglieder.
Die Mitgliederbeiträge werden von den Kantonalparteien und den Sektionen unterschiedlich festgelegt und sind abhängig von Deinem steuerbaren Einkommen. Wir folgen unseren eigenen politischen Forderungen: Wer wenig verdient, bezahlt wenig, und wer viel verdient, beteiligt sich mehr an den Kosten von Partei und Politik.
In der Regel fallen jährlich je nach Einkommen Kosten zwischen circa 80 und einigen Hundert Franken an. Die Mitgliederbeiträge werden jährlich erhoben.

In einigen Kantonen wird zusätzlich ein Solidaritätsbeitrag erhoben.

Für mehr Informationen kannst Du Dich an die SP an Deinem Wohnort oder in Deinem Kanton wenden.

Ja, selbstverständlich! Du kannst der SP beitreten, ohne den Schweizer Pass zu haben. Denn alle Menschen, die in der Schweiz leben, sollen in der Politik mitdiskutieren können.

Du hast verschiedene Möglichkeiten, Dich einzubringen. Wenn Du an Deinem Wohnort aktiv werden möchtest, wendest Du Dich am besten an die Sektion Deiner Gemeinde oder Deines Quartiers. Diese ist auch die richtige Anlaufstelle für den Einsatz in einem öffentlichen Amt (Gemeinderat, Schulpflege, Sozialbehörde…).
Du kannst Dein Wissen und Können auch innerhalb der Partei einbringen. Die SP sucht immer Leute, die sich in der Parteiorganisation engagieren (Gemeinde, Bezirk, Kanton, Themenkommissionen).

Melde Dein Interesse bei den Verantwortlichen Deiner Ortssektion an. Die Sektion nominiert SP-Kandidierende für öffentliche Ämter, sei dies für den Gemeinderat oder die lokalen Schul-, Sozial- oder Finanzbehörden. Die Ortssektion bildet oft auch für Ämter auf übergeordneter Ebene (Kantons- oder Grossrat) den Ausgangspunkt des parteiinternen Nominationsprozesses.

Abgesehen von der Zahlung des jährlichen Mitgliederbeitrags gehst Du keine Verpflichtungen ein. Voraussetzung für den Beitritt ist eine inhaltliche Nähe. Dies bedingt jedoch nicht, dass Du in allen Fragen mit der SP gleicher Meinung sein musst.

Die Statuten der SP Schweiz verbieten die gleichzeitige Mitgliedschaft in mehreren Schweizer Parteien.
Doppelbürger:innen können Mitglied der SP Schweiz und Mitglied einer ausländischen Schwesterpartei sein, beispielsweise der deutschen SPD oder des italienischen Partito Democratico. Die Mitgliedschaft bei der SP Schweiz ist für Angehörige von Schwesterparteien gratis, sofern sie belegen können, dass sie in ihrem Heimatland Mitgliederbeiträge an eine Sozialdemokratische Partei entrichten.

Ja. Auch im Ausland kannst du dich als Mitglied der SP Schweiz in die Politik einbringen. Wenn Du Deinen Wohnsitz im Ausland hast, wirst du automatisch Mitglied der SP International.

Für JUSO-Mitglieder besteht bis zum Alter von 26 Jahren die Möglichkeit einer kostenlosen SP-Mitgliedschaft. Ein entsprechender Antrag kann per Mail an [email protected] gestellt werden.

Das bietet Dir die SP

Was Du von der SP erwarten darfst.

Du bist nah dran an der Politik: Wir schicken Dir unsere Aufrufe, Newsletter sowie sechs Mal jährlich unser Mitgliedermagazin „links“. Du kannst Dich mit Gleichgesinnten vernetzen.

Du kannst von andern lernen und Dich mit Deinem Wissen und Können auf verschiedenen Ebenen in der Partei einbringen.
Gemeinsam schaffen wir eine bessere Zukunft!

Keine Demokratie ohne Bildung. Wir bieten Dir Webinare und Seminare zu Hintergrundwissen und aktuellen politischen Themen.