Operation Olivenzweig nennt Erdogan seinen Feldzug gegen die Kurden in Nordsyrien und bedient sich damit just dem Symbol für Frieden. Mit dem Überschreiten der syrischen Grenze geht Erdogan einen Bruch mit dem Völkerrecht ein: Weder wurde die Türkei angegriffen, noch hat sie ein Mandat der Vereinten Nationen für den Einmarsch in das benachbarte Land erhalten.
Erdogan rechtfertigt den Angriff damit, dass die Kurden eine Gefahr für sein Land seien. Das ist völkerrechtlich noch lange kein Grund, in einen fremden Staat einzumarschieren, um dort eine missliebige Bevölkerungsgruppe zu bekämpfen. Sicher, die Situation in jenem Teil der Welt ist kompliziert. Es ist aber untragbar, dass nun, nachdem die IS-Terroristen zurückgedrängt worden sind, erneut ein Krieg angezettelt wird. Ein Krieg gegen die syrischen Kurden, die notabene die zentrale Rolle beim Sieg über den IS gespielt haben.
Die von der türkischen Offensive betroffene Region rund um Afrin gilt als eher ruhige Region. Viele Menschen sind während dem syrischen Bürgerkrieg dorthin geflüchtet. Statt Ruhe und Frieden zu fördern, beginnt die Gewalt aufs Neue und womöglich müssen wieder viele Menschen flüchten. Es wird Tote und Verletzte geben. Erste Meldungen sprechen bereits von zivilen Opfern, es sind Flüchtlinge, die von türkischen Soldaten beschossen wurden. Die Gewaltspirale beginnt sich wieder zu drehen, Vergeltung folgt auf Anschlag. Die Frage stellt sich, wo die Länder stehen, die alle zum Kampf gegen die IS-Terroristen aufgerufen haben. Was sagen sie, was sagen wir zu diesem neuen militärischen Konflikt? Schweigen wir einfach? Es sieht so aus. Europa ist still und lässt sich erpressen, erpressen mit Flüchtlingen, die Erdogan droht nach Europa zu lassen. Erdogan hat Menschenleben als Pfand in seiner Hand, Menschenleben, die Europa nicht will. Und so kommt es dazu, dass die Staaten zwar murren, aber nichts zu den Kriegen Erdogans sagen.
Zu dieser Haltung passt auch das bedenkliche Signal aus der aktuellen Schweizer Politik: Die Sicherheitskommission des Ständerats und der Bundesrat haben angekündigt, die Regeln für die Kriegsmaterialausfuhr lockern zu wollen. So sollen Waffenexporte an Staaten mit internen Konflikten, also in Bürgerkriegsgebiete, erleichtert werden. Der Profit der eigenen Firmen steht über den Interessen der von Krieg bedrohten Menschen in den Krisengebieten. Für ein Land, das sich seiner humanitären Tradition rühmt, ist dies zynisch. Das muss verhindert werden.
Im Türkeikonflikt muss die Schweiz den Völkerrechtsbruch durch die Türkei nun endlich verurteilen und beim UNO-Sicherheitsrat dafür sorgen, dass dieser dies ebenfalls tut. Die Schweiz muss weitere Zeichen setzen. Sie muss die Verhandlungen zur Erneuerung des Freihandelsabkommens EFTA-Türkei sistieren, ähnlich wie sie es nach der Annexion der Krim durch Russland getan hatte. Es muss mehr in die Konfliktbewältigung und Friedensverhandlungen investiert werden. Es ist selbstredend, dass diese Bemühungen sich über die ganze Region erstrecken müssen, sicher ein schwieriges Unterfangen. Aber nur so wird eine Beruhigung und Frieden möglich sein. Erst wenn dies geschafft ist, kann in eine langfristige Aufbauhilfe investiert werden. Es darf nicht akzeptiert werden, dass den Kurden, die mitgeholfen haben, den IS zu besiegen, nun ihre Rechte genommen werden. Der Westen – und damit die Schweiz – dürfen nicht schweigen.