Begründung:
Der Einsatz von Systemen zur biometrischen Erkennung breitet sich in Europa rasant aus, am prominentesten in Form von Gesichtserkennungssystemen.[1] Die umstrittenen Softwares werden gemäss Recherchen teilweise schon heute von gewissen Kantonspolizeien genutzt, u.a. auch von der Kantonspolizei St.Gallen – obwohl umstritten ist, ob die existierenden Rechtsgrundlagen hierfür ausreichend sind.[2] Diese Systeme werden u.a. dazu eingesetzt, Individuen anhand ihrer biometrischen Daten aus einer Menge von Menschen zu identifizieren, wobei sie als Referenz auf eine Datenbank zurückgreifen. Einmal an eine vorhandene Videoüberwachung gekoppelt, schafft der unterschiedlose Einsatz solcher Gesichtserkennungssysteme die Möglichkeiten für eine weiträumige Massenüberwachung. Dies verletzt nicht nur das Grundrecht auf Privatsphäre, sondern schreckt auch Menschen davon ab, sich frei im öffentlich zugänglichen Raum zu bewegen und andere Grundrechte wie die Meinungsäusserungs- oder Versammlungsfreiheit wahrzunehmen, die in einer Demokratie unabdingbar sind. Zudem können Gesichtserkennungssysteme oft diskriminierend wirken, da sich gezeigt hat, dass sie aufgrund Verzerrungen ihrer Trainingsdaten beispielsweise Menschen dunkler Hautfarbe oder Frauen weniger gut erkennen. Dies führt bei diesen Gruppen zu einer höheren Anzahl an falsch positiven Treffern.
In der Stadt St.Gallen wird im öffentlichen Raum bereits vielerorts eine Videoüberwachung eingesetzt, welche die (nicht automatisierte) Personenidentifikation zulässt. Dies betrifft die Bahnhof- und Rathausunterführung, den Marktplatz Bohl, die Brühltorunterführung, die Arena St.Gallen und die Parkgaragen Kreuzbleiche und Rathaus.[3] Würde nun eine Gesichtserkennungssoftware an die vorhandene Videoüberwachung gekoppelt, ergäben sich damit die Voraussetzungen, eine weiträumige Massenüberwachung vorzunehmen. Auch wenn in einer bestimmten Situation keine tatsächliche Überwachung geschieht: Das reine Vorhandensein der entsprechenden Infrastruktur kann das Verhalten von Personen im öffentlich zugänglichen Raum beeinflussen, da für sie nicht ersichtlich ist, wann die Systeme tatsächlich zum Einsatz kommen. Gemäss heutigem Kenntnisstand werden von der Stadt St.Gallen zwar noch keine biometrischen Erkennungssysteme zu Überwachungszwecken eingesetzt. Dies soll aber auch in Zukunft so bleiben. Es fehlen wirksame gesetzliche Schranken gegen diese Art der Überwachung und Diskriminierung: Nur ein Verbot auf Gesetzesstufe kann sicherstellen, dass diese unverhältnismässige Einschränkung der Grundrechte nicht zugelassen wird – auch nicht via Pilotprojekte oder mittels schrittweiter Ausweitung der Zwecke, für welche die Technologie eingesetzt wird. Mit der vorliegenden Motion soll sichergestellt werden, dass biometrische Erkennungssysteme von sämtlichen städtischen Organen im öffentlich zugänglichen Raum nicht eingesetzt werden dürfen.
Auftrag:
Der Stadtrat wird eingeladen, eine Änderung der Reglemente vorzulegen, welche die Videoüberwachung auf dem öffentlichen Grund regeln, und diese um ein Verbot betreffend den Einsatz von biometrischen Gesichtserkennungssystemen durch städtische Organe im öffentlich zugänglichen Raum zu ergänzen.
[1] Vgl. https://automatingsociety.algorithmwatch.org/ und https://www.digitale-gesellschaft.ch/2021/04/29/warum-wir-ein-wirksames-verbot-biometrischer-massenueberwachung-brauchen-biometrische-massenueberwachung-ist-auch-in-europa-laengst-wirklichkeit/.
[2] Vgl. https://www.tagesanzeiger.ch/so-jagen-schweizer-polizisten-mit-gesichtserkennung-verbrecher-608167461846.
[3] Vgl. Art. 3 Abs. 2 des Polizeireglements (SRS 412.11), Reglement über die Videoüberwachung auf öffentlichem Grund (SRS 412.4), Reglement über die Videoüberwachung im Umfeld der Arena St.Gallen (SRS 412.5), Reglement über die Videoüberwachung der Parkgaragen Kreuzbleiche und Rathaus (SRS 412.51) sowie Allgemeinverfügungen des Stadtrates betreffend die Bahnhof- und Rathausunterführung, die Bahnhofunterführung, den Bohl und die Brühltorunterführung.