Der Regierungsrat wird beauftragt, die medizinische und psychologisch-psychiatrische Behandlung und Vorsorge von Kindern und Jugendlichen in der Nothilfe mit folgenden Massnahmen zu verbessern:
- Für Familien mit Kindern und Jugendliche ist – wo dies die Leistungserbringenden als sinnvoll erachten – eine aktive Begleitung mit medizinischer Erst- und Folgeinformation sowie interkultureller Übersetzung zu institutionalisieren.
- Für Familien und Jugendliche in der Nothilfe ist der zeitnahe Zugang zu bedarfsgerechten psychiatrisch-psychologischen Behandlungsangeboten (möglichst in der Nähe der Unterkunft) sicherzustellen.
- Kindern und Jugendlichen ist zwecks Stabilisierung und zur Gewährleistung ihrer psychischen Gesundheit niederschwelliger Zugang zu psychosozialen Unterstützungsangeboten zu gewähren.
Begründung:
Aktuell sind 111 abgewiesene Asylsuchende im Kanton Bern minderjährige Kinder oder Jugendliche. Nicht wenige von ihnen haben einen Grossteil ihres Lebens im Nothilfesystem und damit in Rückkehrzentren verbracht. Dies bringt für die Betroffenen grosse gesundheitliche Risiken mit sich: Eine umfassende Analyse der Situation in der Schweiz durch das Marie-Meierhofer-Institut für das Kind (MMI)[1] zeigt, dass die Lebensumstände in der Nothilfe im Asylbereich die Gesundheit und die Entwicklung der betroffenen Kinder und Jugendlichen gefährden. Die medizinische Versorgung in Notfällen war zwar im Grundsatz gewährleistet. Bei der Vorsorgekontinuität zeigten sich jedoch Lücken: Aufgrund von fehlenden Kenntnissen der betroffenen Familien bezüglich des Gesundheitssystems in der Schweiz reicht ein Recht auf Vorsorgeuntersuchungen nicht aus, sondern es braucht eine aktive Begleitung mit medizinischer Erstinformation und Folgeinformationen sowie interkulturellen Übersetzerinnen und Übersetzern.
Die für die Studie befragten Fachpersonen betonten, dass die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen äusserst besorgniserregend sei. Viele seien psychisch schwer belastet und zeigten Entwicklungs- oder Verhaltensauffälligkeiten sowie Schlaf- und Angststörungen. Die unsichere Situation, die oft ungenügende Infrastruktur, fehlende Rückzugsmöglichkeiten, fehlende Beschäftigungs- und Betreuungsangebote belasten die Kinder enorm. Isolation, Perspektivlosigkeit und Ohnmacht schaden ihrer psychosozialen Entwicklung und ihrer psychischen Gesundheit. Des Weiteren sind die Kinder und Jugendlichen von den Belastungen der Erziehungsberechtigten betroffen und in höchstem Masse von deren Befindlichkeit abhängig.
Auch im Kanton Bern ist der Zugang zu psychiatrisch-psychologischen Angeboten für Kinder aufgrund der grossen Nachfrage und der generellen Unterversorgung schwierig – beim SRK-Ambulatorium für Kriegs- und Folteropfer kommt es deswegen immer wieder zu Aufnahmestopps. Es gibt jedoch für Kinder und Jugendliche gute Angebote wie die App SUI[2] oder das Projekt START des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK), die die Rückkehrzentren ihren Bewohnenden zugänglich machen könnten.
Ein Rechtsgutachten der Universität Neuenburg[3] hält fest, dass die Lebensbedingungen der Kinder in der Nothilfe im Asylbereich nicht mit der schweizerischen Bundesverfassung und der UNOKinderrechtskonvention vereinbar sind. Die körperliche, geistige und soziale Entwicklung sowie die Gesundheit der Kinder sind zu wenig geschützt. Indem der Kanton Bern die körperliche und psychische Gesundheit sowie die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen im Nothilferegime fördert, kann er gleichzeitig auch die Belastungen des Betreuungspersonals reduzieren und hohen Folgekosten im Gesundheits- und Sozialbereich entgegenwirken.
[1] Kinder und Jugendliche in der Nothilfe im Asylbereich – Systematische Untersuchung der Situation in der Schweiz, EKM 2024; https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/89806.pdf
[2] https://www.migesplus.ch/sui
[3] «Das Nothilferegime und die Rechte des Kindes», EKM 2023; https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/89808.pdf