Der Regierungsrat wird beauftragt, die Wohnsituation von Kindern und Jugendlichen in der Nothilfe mit folgenden Massnahmen schnell zu verbessern und eine Reduktion der Belegung in den Rückkehrzentren für Familien zu erzielen:
- Familien mit Kindern in der Langzeitnothilfe sind grundsätzlich mit entsprechender Begleitung in einer (Nothilfe- oder Privat-)Wohnung unterzubringen.
- Familien, die während des Asylverfahrens in einer Wohnung leben, sollen nach einem Negativentscheid dort bleiben können und nicht in ein Rückkehrzentrum umziehen müssen.
- In allen Rückkehrzentren sind ausreichend auf die unterschiedlichen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen ausgerichtete Räume (insbesondere Rückzugs-, Lern- und Spielräume), die immer zur Verfügung stehen, sowie ein sicherer und kindgerechter Aussenraum zum freien Spielen und Bewegen einzurichten.
Begründung:
Aktuell leben im Kanton Bern 111 minderjährige Kinder oder Jugendliche mit negativem Asylentscheid in der Nothilfe. Nicht wenige von ihnen haben einen Grossteil ihres Lebens im Nothilfesystem und damit in Rückkehrzentren verbracht. Dies bringt für die Betroffenen grosse Risiken mit sich: Eine umfassende Analyse der Situation in der Schweiz durch das Marie-MeierhoferInstitut für das Kind (MMI)[1] zeigt deutlich, dass die Lebensumstände in der Nothilfe im Asylbereich die Gesundheit und die Entwicklung der betroffenen Kinder und Jugendlichen gefährden, und dass dies die Kinderrechte verletzt.
Im Kanton Bern werden Familien mit negativem Asylentscheid normalerweise nicht in Wohnungen untergebracht, obwohl die gesetzlichen Grundlagen Ausnahmen vorsehen würden, sondern in den Rückkehrzentren Bellellay, Aarwangen und Enggistein. Diese Zentren sind heute noch viel stärker belegt als zum Zeitpunkt, als die Grundlagen für die Studie des MMI erarbeitet wurden. Im RZB Enggistein lebten im Jahr 2022 30 Personen im Zentrum, heute 60 bis 70. Der fehlende Platz und die fehlende Privatsphäre sind eine grosse Belastung für die Familien.
Zahlreiche Vorstösse, die auf eine Verbesserung der Wohnsituation von Familien in der Nothilfe abzielten, z. B. M 022-2022 (Veglio), M 057-2022 «(Sancar) und M 054-2022 (Marti), hat der Regierungsrat abgewiesen mit der Begründung, dass begleitete Kinder in Rückkehrzentren nicht besonders vulnerabel sind, und dass ihren Bedürfnissen in Rückkehrzentren Rechnung getragen wird. Auch in seiner Antwort auf die Interpellation 055-2024 (Patzen) vertritt der Regierungsrat diese Haltung und sieht keinen Handlungsbedarf. Diese Einschätzung wird durch den Bericht der EMK klar in Frage gestellt. Da der Kanton Bern gemäss Interpellationsantwort keine Daten zur effektiven Situation der Kinder erhebt, kann die Einschätzung der kantonalen Behörde zur angeblichen guten Befindlichkeit der Kinder nicht belegt werden.
Gemäss MMI-Bericht steht ausreisepflichtigen, nothilfebeziehenden Familien mit minderjährigen Kindern in den meisten Rückkehrzentren lediglich ein Zimmer zur Verfügung. Dies gilt auch für den Kanton Bern, z. B. im RKZ Enggistein. Der fehlende Platz und die fehlende Privatsphäre sind eine grosse Belastung für die Familien. Es wurde zwar unter Begleitung von «Save the Children» ein Spielzimmer eingerichtet, das aber entgegen der Antwort auf die Interpellation Patzen nicht für die über 20 Kinder (vom Baby bis zum Jugendlichen) ausreicht. Es bestehen weder Lernbereiche noch Rückzugsmöglichkeiten für Jugendliche, und der Aussenraum ist sehr begrenzt. Die Gemeinschaftsbereiche sind meist voll belegt mit Erwachsenen und Kindern und entsprechend lärmig. Sie können nicht als Rückzugsort bezeichnet werden.
Die Unterbringung in Wohnungen von Familien mit Kindern in der Langzeitnothilfe würde zu einer Reduktion der Belegung führen und entsprechend auch die Situation der Menschen in den Zentren verbessern. Dass dies möglich ist, zeigen Beispiele wie der Kanton Waadt, wo Familien, die schon länger hier leben, in der Regel in einer Wohnung leben und auch mit Nothilfe selten in einem Zentrum untergebracht sind.
Gemäss UNO-Kinderrechtskonvention, die die Schweiz 1997 ratifiziert hat, hat jedes Kind ein Recht darauf, gesund und sicher aufzuwachsen, sein Potenzial zu entfalten, angehört und ernst genommen zu werden. Ein Rechtsgutachten der Universität Neuenburg[2] hält fest, dass die Lebensbedingungen der Kinder in der Nothilfe im Asylbereich nicht mit der schweizerischen Bundesverfassung und der UNO-Kinderrechtskonvention vereinbar sind.
Es kann und darf nicht Wille des Gesetzgebers sein, systematisch Kinderrechte zu verletzen. Die Wohnsituation ist deshalb so bald wie möglich und insbesondere für Familien in Langzeitnothilfe zu verbessern.
[1] «Kinder und Jugendliche in der Nothilfe im Asylbereich – Systematische Untersuchung der Situation in der Schweiz», EKM 2024; https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/89806.pdf
[2] «Das Nothilferegime und die Rechte des Kindes», EKM 2023; https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/89808.pdf