Gemäss Art. 4 des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt
gegen Frauen und häuslicher Gewalt (SR 0.311.35; Istanbul–Konvention), das in der Schweiz seit
dem Jahr 2018 in Kraft ist, müssen alle gewaltbetroffenen Frauen in der Schweiz Zugang zu Un-
terstützung bekommen. Leider verstossen Haltung und Praxis von Bund und Kantonen gegen
diese internationale Verpflichtung.
Wenn eine Frau auf der Flucht in die Schweiz vergewaltigt wird, wenn eine Frau im Ausland Op-
fer von Menschenhandel wird, wenn eine Frau ohne Aufenthaltsberechtigung im Herkunftsland
Gewalt erlebt hat: Sie alle erhalten in der Schweiz keine spezialisierte Hilfe – und sollen diese ge-
mäss Medienmitteilung des Bundesrates vom 16. Oktober 20191 auch in Zukunft nicht erhalten,
da dieser den Anwendungsbereich des Opferhilfegesetzes nicht ausweiten möchte.
Laut Bundesrat geht es darum, ‹pragmatische Lösungen zu suchen, damit gewaltbetroffene
Frauen und Mädchen mit Bleiberecht in der Schweiz Zugang zu Unterstützungsleistungen ha-
ben›. Damit schlägt er eine Teillösung vor, die weiterhin zu Diskriminierung führt: Der Bund hilft
allen Frauen und Mädchen, die in der Schweiz bleiben dürfen. Er verweigert aber jenen, die im
Asylverfahren sind oder einen Nichteintretensentscheid oder negativen Entscheid erhalten haben
sowie allen Sans–Papiers die dringend benötigte Unterstützung.
Nach Auffassung der UNO–Flüchtlingsorganisation (UNHCR) ist dies nicht ausreichend2. Alle
Menschen – auch Asylsuchende und Sans–Papiers – brauchen sofortigen und diskriminierungs-
freien Zugang zu Stellen, die auf Opferhilfe3 spezialisiert sind. Dies ist ein Gebot der Gerechtig-
keit und der Menschlichkeit und darf nicht vom Bleiberecht abhängig gemacht werden.
Wir bitten die Regierung um die Beantwortung folgender Fragen:
1. An wen können sich in unserem Kanton Menschen wenden, die im Ausland Opfer von Ge-
walt wurden, wenn sie:
a) im Asylverfahren sind;
b) einen Nichteintretensentscheid oder einen negativen Asylbescheid erhalten haben oder
c) keinen geregelten Aufenthaltsstatus vorweisen können?
2. Entspricht die in unserem Kanton geleistete Opferhilfe den Vorgaben der Istanbul–Konven-
tion und des Übereinkommens des Europarates zur Bekämpfung des Menschenhandels (SR
0.311.543)? Handelt es sich hierbei um eine spezialisierte Hilfe?
3. Welchen Handlungsspielraum sieht die Regierung, um eine diskriminierungsfreie und ge-
rechte Opferhilfe sicherzustellen?