Unter einer Norm versteht man eine allgemeine Regel. Es gibt verbindliche Rechtsnormen, soziale Normen, die unser Verhalten (mit-)bestimmen, oder technische Normen. Letztere definieren die Anforderungen an Produkte, Dienstleistungen und Verfahren. Wichtig sind Normen auch in Bezug auf die Bautätigkeit. Diese werden in der Schweiz durch den Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein SIA erarbeitet. Das Bundesgericht geht grundsätzlich davon aus, dass diese Normen die anerkannten Regeln der Technik abbilden, womit diese Normen teilweise auch rechtliche Auswirkungen haben.
Plant die Stadt Luzern ein Bauvorhaben, orientiert sie sich dabei stark an diesen Normen. So werden in praktisch jedem Bericht und Antrag (B+A), der sich direkt oder indirekt auf ein Bauvorhaben bezieht, auf unterschiedliche SIA-Normen verwiesen. Sei es, wie das Wettbewerbsprojekt abläuft und das Preisgericht zusammenzusetzen ist (SIA 142), wie ein Gebäude hindernisfrei zu planen ist (SIA 500) oder wie die Energieeffizienz sichergestellt werden soll (SIA 386.111).
Auch auf die SIA-Normen 102 (Leistungen und Honorare von Architekt:innen), SIA 105 (Leistungen und Honorare von Landschaftsarchitekt:innen), SIA 143 (Ordnung für Architektur- und Ingenieurstudienaufträge), SIA 261 (Tragwerknormen), SIA 416 (Volumen und Flächen) und SIA 181 (Schallschutz) wird in Berichten und Anträgen immer wieder Bezug genommen.
Die SIA-Normen bringen, genauso wie andere Normen, viele Vorteile für die Gesellschaft. Sie dokumentieren die anerkannten Regeln der Baukunde und dienen damit unter anderem der Qualitätssicherung, der Weitergabe von Wissen und erleichtern die Zusammenarbeit. Diese Normen können bei der SIA bezogen werden und kosten pro Norm in der Regel zwischen hundert und zweihundert Franken.
Problematisch sind Normen dann, wenn sie in demokratische Prozesse eingreifen, ohne demokratisch legitimiert zu sein. Verschärft wird das Problem, wenn die Normen nicht frei öffentlich zugänglich sind. Dies führt dazu, dass das Parlament bspw. ein Wettbewerbsverfahren nach SIA 142 beschliesst, ohne genau zu wissen, was in dieser Norm wirklich definiert ist. Erarbeitet worden ist diese Norm von einer Kommission, die sich ausschliesslich aus Architekt:innen und Ingenieur:innen zusammensetzt.[1] Es ist fraglich, ob eine derart einseitige Zusammensetzung den vielfältigen Anforderungen des Gemeinwesens an ihre Bauprojekte gerecht wird. Dies zeigt sich beispielsweise in den Preisgerichten, in denen Architekt:innen und Ingenieur:innen jeweils ein deutliches Übergewicht haben. Eine diversere und interdisziplinärere Zusammensetzung dieser Gremien wäre möglicherweise besser geeignet, die vielfältigen Ansprüche der öffentlichen Hand (bspw. hinsichtlich Stadtplanung, Sozialraum, Klimaschutz) in die Wettbewerbsbeurteilung einfliessen zu lassen.
In der SIA-Norm 102 wird eine Honorierung abhängig nach den aufwandbestimmenden Baukosten empfohlen. Dies bedeutet, je höher die Baukosten, desto höher das Honorar der Architekt:innen. Es stellt sich dabei die Frage, ob dies tatsächlich im Interesse der öffentlichen Hand ist oder ob damit falsche Anreize gesetzt werden.
Der Stadtrat wird gebeten zu prüfen, ob jene SIA-Normen, die die Abläufe und Vorgaben zu Projekterarbeitung und Projektvergabe beinhalten (insb. SIA 102, 105, 142, 143), den städtischen Ansprüchen vollumfänglich genügen. Falls ja, wird der Stadtrat gebeten, dafür zu sorgen, dass diese frei zugänglich gemacht werden. Können diese SIA-Normen entweder nicht frei zugänglich gemacht werden oder erfüllen sie die Ansprüche der Stadt nur ungenügend, so wird der Stadtrat gebeten zu prüfen, ob in Zusammenarbeit mit dem Verband Luzerner Gemeinden (VLG), dem Schweizerischen Städteverband (SSV) oder anderen öffentlichen Organen eigene Normen für die genannten Bereiche erarbeitet werden können.
[1] https://www.sia.ch/fr